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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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der Hocke, taumelte nach hinten, stieß mit der Ferse gegen die unterste Treppenstufe, suchte mit den Händen nach Halt, rutschte jedoch auf dem Algenteppich aus und verlor das Gleichgewicht. Ihr Rücken prallte auf die Kanten der Treppe, sie schrie auf, und vor ihren Augen explodierte ein Kranz aus Feuer. Sie glaubte, der Kolben hätte sie getroffen, und das Lodern und die tanzenden Lichter um sie herum seien die Vorboten des Todes. Dann aber klärte sich ihr Blick, und jemand streckte ihr eine riesenhafte Pranke entgegen. Löwenzahn! Mütterchen ließ sich von ihm aufhelfen und sah zugleich, dass der Zweihänder des Kriegers den Zwerg von hinten beinahe in zwei Hälften geschlagen hatte.
    »Geist …«, stotterte sie mühsam, »und Alberich …«
    »Den beiden geht es gut«, sagte Löwenzahn beschwichtigend und fügte ein wenig leiser hinzu: »Wenigstens glaube ich das.«
    »Du
glaubst
?«, fragte sie verwirrt und hatte immer noch Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
    Er nickte. »Der Kampf ist vorbei. Du solltest dir das ansehen.«
    Sie ließ sich von ihm durch den Pflanzenvorhang führen. Da begriff sie, was er meinte.
    Die drei verbliebenen Zwerge standen aufrecht in der Mitte der Höhle – wenigstens nahm Mütterchen das so lange an, bis sie entdeckte, dass die Fußspitzen der drei einen Finger breit über dem Boden schwebten. Ihre Gesichter waren verzerrt, einem hing die Zunge blau angeschwollen aus dem Mund. Um ihre Hälse lagen Schlingen wie von Peitschensträngen, aus deren holziger Oberfläche winzige Blätter wuchsen. Die Enden der Schlingen führten geradewegs zur Decke empor, aus Zweigen geflochtene Henkersstricke.
    Geist hing immer noch dort oben. Ihr Rücken und ihr Hinterkopf lagen flach am Fels, ihre abgespreizten Arme und Beine wurden von einem Netz aus Ranken an der Decke gehalten. Der Farnwedel zwischen ihren Brüsten war verschwunden. Statt seiner entsprangen aus ihrem Moospelz die drei Zweige, mit denen sie die Zwergenkrieger erdrosselt hatte. Geists Augen waren geschlossen, ihr Mund stand leicht offen, und es sah aus, als schliefe sie. Ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig, während sich die Ranken raschelnd um ihre Arme und Beine wanden wie Schlangennester.
    Alberich stand vor den drei toten Zwergen und starrte fassungslos hinauf zu dem Moosfräulein. »Wir müssen sie irgendwie runterholen«, flüsterte er, als hätte irgendwer das in Frage gestellt.
    Löwenzahn vergewisserte sich, dass Mütterchen aus eigener Kraft stehen konnte, dann trat er vor, wobei er den Zweihänder über seine Schulter schwang. Auch er blickte an den drei Ranken empor zu Geist. Tiefe Sorge sprach aus seiner Miene.
    »Vielleicht sollten wir die drei erst einmal losschneiden«, schlug Alberich unsicher vor.
    Mütterchen humpelte aufgebracht auf ihn zu. »Du bist wahrlich ein zu kurz geratener Hornochse, Alberich Horthüter! Diese Ranken kommen aus Geists Körper! Wie würde es dir gefallen, wenn wir dir drei Finger abschneiden?«
    »Aber es sind bloß Zweige!«, widersprach er, obwohl Mütterchen ihm ansah, dass er Zweifel an seinen eigenen Worten hatte. »Ich meine, sie sind aus Holz und …«
    »Nichts da!«, widersprach Mütterchen. »Gar nichts wird hier durchgeschnitten!«
    Je länger Löwenzahn Geists rankenumschlungenen Leib anstarrte, desto bleicher wurde sein Gesicht. »Trotzdem müssen wir irgendwas tun.«
    Alberich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht fällt sie ja nach einer Weile von alleine runter.«
    »Hoffentlich wenn du gerade drunterstehst!«, entfuhr es Mütterchen lakonisch, und sie verdrehte dabei die Augen. »Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie du jemals Hüter dieses Berges geworden bist.«
    Zornig fuhr der Zwerg herum. »Ich habe es mir nicht ausgesucht, das kannst du mir glauben!«
    Löwenzahn streckte vorsichtig die Finger aus und versuchte, die Schlinge am Hals eines der Zwerge zu lockern. Doch der Peitschenzweig zog sich unter der Berührung nur noch enger zusammen. Löwenzahn zuckte erschrocken zurück.
    »Geist?«, fragte er zaghaft. Bislang hatte noch keiner von ihnen versucht, das Moosfräulein anzusprechen.
    Und tatsächlich, der einfachste Weg war der richtige. Geist schlug die Augen auf, als sie ihren Namen vernahm, und noch im selben Moment lösten sich die drei Schlingen mit einem blitzschnellen Ruck. Alberich und Löwenzahn traten eilig einen Schritt zurück, als die Toten polternd zu Boden fielen. Das Moosfräulein löste den Kopf von der Decke und sah an sich

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