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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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habe«, sagte sie leise, ohne sich zu den anderen umzudrehen.
    Sogleich eilten die anderen zu ihr und blickten verwundert auf eine Stelle an der Wand, etwa zwei mal zwei Schritte groß, an der die fünf Zwerge den Pflanzenbelag zerschnitten und abgeschabt hatten.
    »
Das
hast du gespürt?«, fragte Löwenzahn staunend.
    Geist nickte stumm.
    »Warum haben sie das getan?«, wunderte sich Mütterchen.
    Alberich deutete ein Stück nach rechts. Dort lehnten im Schatten eines Vorsprungs sechs Spitzhacken an der Wand, außerdem mehrere Hämmer, Meißel und andere Arbeitsutensilien der Zwerge. »Sie wollten einen Stollen graben«, stellte er fest und schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Oder einen Durchbruch«, fügte Mütterchen hinzu.
    Der Zwerg starrte sie aus großen Augen an. »Unmöglich! Es gibt dahinter nur massiven Fels, keinen Hohlraum.«
    Mütterchen winkte ab. »Wie Löwenzahn schon richtig erkannt hat: Seit du zuletzt hier unten warst, kann vieles geschehen sein.« Sie deutete auf den Strudel, der das Wasser in eine Öffnung riss, die, laut Alberich, vor einigen Jahren noch nicht existiert hatte. »Ich fürchte, mein Freund«, sagte sie unheilschwanger, »irgendwer ist schon seit längerer Zeit dabei, deinen Berg zu untergraben.«
    Alberichs Lippen bebten. Er brachte vor Erschütterung kein Wort heraus.
    »Sag«, meinte Mütterchen und zeigte auf die Stelle, an der die Zwerge die Pflanzen entfernt hatten, »was liegt in dieser Richtung?« Sie ahnte die Antwort bereits, bevor Alberich endlich die Kraft fand, die beiden Worte auszusprechen.
    »Die Horthalle«, sagte er heiser.
    Mütterchen trat an Alberichs Seite durch das hohe Portal und wappnete sich für den schlimmsten aller Anblicke: dutzende Zwerge, die mit Kisten und Säcken wie Ameisen über die Schätze der Nibelungen schwärmten.
    Als sie von der kleinen, geländerlosen Plattform im oberen Teil der Hallenwand hinab in die Tiefe blickte, blendete sie das Glitzern und Funkeln des Hortes wie der Feuerstoß eines Drachen. Erst als sich ihre Augen an die unnatürliche Helligkeit gewöhnten, erkannte sie erleichtert, dass ihre Sorge unbegründet war. Zwar war es unmöglich, von so hoch oben Einzelheiten zu erkennen, doch jedes Lebewesen, das sich dort unten aufhielt, hätte sich von der unermesslichen Pracht des Schatzes abheben müssen wie eine Regenwolke vom Sommerhimmel.
    Die Halle war rund und so weitläufig, dass die gegenüberliegende Seite nur schwer auszumachen war. Aus der Tiefe funkelte der Goldglanz des Hortes empor und schien die unteren Regionen der Halle mit einem Dunst aus purem Licht zu erfüllen. Eine Wendeltreppe schlängelte sich spiralförmig um die Wände. Beim ersten und einzigen Mal, dass Alberich Mütterchen und die beiden anderen mit hinab zur Oberfläche des Hortes genommen hatte, waren sie am Mittag von der Portalplattform aufgebrochen und hatten am frühen Abend den Fuß der Treppe erreicht. Es war ein langer, eintöniger Marsch, und noch dazu ein Wagnis, denn die Treppe war schmal und besaß auf ihrer gesamten Länge kein Geländer. Die Gefahr, nach innen abzustürzen, war groß, wenn man die Stufen nicht ruhig und mit Bedacht hinabstieg. Unter der Decke der Halle, genau in der Mitte, hing ein beschädigter Seilzug, mit dem einst die Schätze nach unten transportiert worden waren. Die Holzbrücke, die ihn früher mit der Plattform verbunden hatte, war schon vor langer Zeit eingestürzt.
    »Niemand hier«, bemerkte Löwenzahn ohne jede Spur von Erleichterung. Er hatte sich bereits auf einen weiteren Kampf gefreut.
    Alberich dagegen war anzusehen, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel. Er wollte etwas sagen, doch Mütterchen kam ihm zuvor.
    »
Noch
ist niemand hier«, meinte sie, »aber das könnte sich bald ändern. Hört ihr das?«
    Ein dumpfes Knirschen und Schleifen ertönte, ohne dass jemand hätte sagen können, woher es rührte. Es kam von irgendwo aus dem Inneren der Felsen.
    »Da sind noch mehr von ihnen«, fuhr Mütterchen fort. »Und wer weiß, wie lange sie noch brauchen, um bis zur Halle durchzubrechen.«
    »Aber wo kommen die her?«, fragte Löwenzahn. »Zwerge sind doch keine Pilze, die einfach aus dem Boden schießen.« Grinsend fügte er hinzu: »Auch wenn sie mit ihren Mützen so aussehen.«
    Alberichs Gesicht schien mit jedem Atemzug die Farbe zu wechseln, doch das hatte nichts mit Löwenzahns Bemerkung zu tun. Seine faltigen Züge waren mal bleich wie die Leichen der erdrosselten Zwerge, mal hochrot vor Zorn und

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