Der Zwergenkrieg
Hilflosigkeit. »Von unten«, sagte er mit schwerer Zunge. »Sie kommen von unten.«
»Aber ich denke, da ist nichts?«, wandte Mütterchen ein, schaute ihn dabei jedoch neugierig, fast ein wenig argwöhnisch an.
»Es gibt nur diese Möglichkeit«, stieß Alberich atemlos hervor. »Sie müssen über die alte Zwergenstraße gekommen sein.«
»Alte Zwergenstraße?«, fragte Geist. »Was ist das?«
Auch Löwenzahn und Mütterchen blickten verständnislos.
»Ein Tunnel«, sagte er, und jeder merkte ihm an, dass ihm im Augenblick nicht nach weitschweifigen Erklärungen zu Mute war. »Er führt durch die Tiefen der Erde hinauf ins Nordland. Vor gut zweihundert Jahren zog das Volk vom Hohlen Berg über die alte Zwergenstraße zurück in seine frühere Heimat, dorthin, von wo aus unsere Ahnen einst nach Süden aufgebrochen waren.«
»Du meinst, es gibt einen Tunnel unter dem Hohlen Berg?«, fragte Mütterchen verblüfft, aber auch ein wenig verärgert, dass Alberich ihnen erst jetzt davon erzählte.
»Niemand kennt den Einstieg«, verteidigte sich der Zwerg.
»Abgesehen von dir, natürlich«, brummte Löwenzahn.
»Ich bin der Hüter des Hortes!«, fuhr Alberich ihn an. Falls er weihevoll klingen wollte, so misslang es ihm in der Hitze seiner Erregung. »Natürlich kenne ich den Einstieg! Aber außer mir weiß keiner davon.«
»Nun«, meinte Mütterchen, »offenbar ist vor zweihundert Jahren ein ganzes Volk hindurchgezogen. So alt wie ihr Zwerge werdet, liegt das höchstens zwei Generationen zurück, nicht wahr?«
Alberich nickte verdrossen.
Geist riss vor Staunen den Mund auf. »Heißt das, die Zwerge kehren zurück?«
»Möglich«, sagte Mütterchen grübelnd. »Aber ich glaube eher, dass es sich nur um einige wenige handelt. Eine Bande, höchstens zwei, drei Dutzend.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Löwenzahn.
»Wenn es ein ganzes Volk wäre oder eine Armee, dann hätten wir in der Wassergrotte gewiss mehr als nur diese sechs angetroffen.« Sie wandte sich an Alberich. »Wo genau befindet sich der Einstieg zur Zwergenstraße?«
»Das darf ich nicht sagen!«
»Wir sind deine Freunde!«, entfuhr es Mütterchen aufgebracht.
»Ihr seid keine Zwerge«, meinte er beharrlich, wagte aber nicht, der Räuberin dabei in die Augen zu blicken.
Löwenzahn wollte auffahren, doch Mütterchen schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Wie du meinst, Horthüter«, sagte sie zu Alberich. Und damit drehte sie sich zum Portal um und ging davon.
»Wo willst du denn hin?«, rief Alberich ihr hinterher.
Löwenzahn schenkte ihm einen finsteren Blick, und sogar Geist sah verärgert aus. Beide machten sich wortlos auf, Mütterchen zu folgen.
Alberich stand einen Augenblick lang da wie versteinert, dann setzte er sich in Bewegung. Wild gestikulierend überholte er die beiden, lief hinaus auf den Gang und hielt Mütterchen am Ärmel ihres Gewandes fest. Widerwillig blieb sie stehen, während die beiden anderen aufholten. Alberich stellte sich ihnen in den Weg, mit hängenden Schultern und schuldbewusster Miene. Nach Worten ringend, trat er von einem Fuß auf den anderen.
»Ihr könnt das nicht verstehen«, murmelte er fahrig.
»Du vertraust uns nicht, das verstehen wir sehr wohl«, gab Mütterchen zornig zurück. »Wir sind keine Zwerge, das ist wahr, und ich bin heilfroh darüber. Und doch haben wir zwei Jahre lang für dich und das Vermächtnis deines Volkes gekämpft. Hast du das vergessen?«
»Was für eine Frage!«, gab er aufgebracht zurück. »Nichts ist vergessen, und nichts wird jemals vergessen sein. Mein Volk« – er verbesserte sich widerwillig – »
ich
werde euch immer dankbar sein.«
»Nicht dankbar genug, uns ins Vertrauen zu ziehen«, sagte Löwenzahn. Geist an seiner Seite schwieg, nickte nur langsam. Ganz andere Gedanken beschäftigten sie. Noch immer war sie im Zweifel über sich selbst und ihre Fähigkeiten.
Ein Feuerwerk aus Gefühlen und Regungen spiegelte sich auf Alberichs faltigen Zügen wider. Sein Ringen mit sich selbst blieb den Gefährten nicht verborgen. Mütterchen und die anderen warteten geduldig ab, bis er neuerlich das Wort ergriff.
»Gut«, sagte er schließlich, und plötzlich klang seine Stimme wieder fest und entschlossen, wie sie es von ihm gewohnt waren. »Ich werde euch alles erzählen. Lasst uns hinuntergehen zum Hort, und auf dem Weg dorthin sollt ihr erfahren, was damals geschah, beim letzten Mal, als der Zugang zur alten Zwergenstraße geöffnet
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