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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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herab zu ihren Füßen. Wie auf ein stummes Kommando lösten sich die Ranken an ihren Fußgelenken, und wenige Herzschläge später baumelte Geist nur noch mit den Händen an der Decke. Löwenzahn fing sie sanft auf, als sich die Schlingen auch von ihren Fingern und Handgelenken zurückzogen.
    »Lass mich bitte runter«, bat sie und lächelte den Hunnenkrieger zaghaft an. Löwenzahn hob eine Augenbraue, im Zweifel, ob sie wirklich kräftig genug war, um stehen zu können, erfüllte ihr dann aber den Wunsch.
    Geist schwankte ein wenig, fand jedoch schließlich ihr Gleichgewicht wieder. Jetzt erst blickte sie auf die drei Leichen herab.
    »War
ich
das?«, fragte sie betroffen. Zugleich huschte ein Schatten über ihre Züge, als bekäme sie plötzlich Angst vor sich selbst.
    Mütterchen legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Du hast uns das Leben gerettet«, sagte sie stolz.
    Geist konnte ihren Blick nicht von den Toten nehmen. »Ich wusste nicht … ich meine, ich hatte ja keine Ahnung, dass ich …!«
    »Das hatte wohl keiner von uns«, meinte Alberich düster.
    Mütterchen sah ihn streng an, sagte aber nichts.
    Die drei Ranken aus Geists Brust baumelten an ihrem Körper herab und ringelten sich auf dem feuchten Felsboden. Das Moosfräulein hob eine Hand und streichelte zärtlich darüber, und wenig später zogen sich die Zweige zurück, wurden kürzer und verschwanden schließlich völlig zwischen ihren Brüsten.
    »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte«, begann Löwenzahn, führte den Satz aber nie zu Ende, denn Mütterchen sagte laut: »Ich glaube, wir sollten allmählich herausfinden, wo diese Kerle hergekommen sind.«
    Alberich nickte hastig, offenbar dankbar, dass ihn jemand von Geists gespenstischen Fähigkeiten ablenkte.
    Löwenzahn sagte: »Es gibt noch eine größere Grotte, gleich nebenan.« Er deutete auf die Öffnung, durch die Geist und er am Vortag hereingekommen waren. Das Rauschen der Wasserstrahlen, die sich dort aus den Kanallöchern in den See ergossen, schien schlagartig an Lautstärke zuzunehmen, als hätte das Geräusch nur darauf gewartet, endlich wahrgenommen zu werden.
    Alberich packte entschlossen seine Axt und ging voran, ihm folgten Löwenzahn, dann Geist und zuletzt Mütterchen. Als sie schließlich alle auf der Felsscholle standen, die sich über einen Teil des unterirdischen Sees erstreckte, schüttelte der Zwerg nachdenklich den Kopf.
    »Früher war der Wasserspiegel viel höher«, meinte er misstrauisch.
    Mütterchen fiel ihre Beobachtung im Treppenschacht ein. »Auch die Stufen standen bis vor Kurzem unter Wasser.«
    Alberich nickte und deutete über den See. »Der Strudel war beim letzten Mal, als ich hier war, noch nicht da.«
    »Wie lange ist das her?«, fragte Mütterchen.
    Er hob unsicher die Schultern. »Acht, neun Jahre.«
    »In der Zeit kann hier unten viel geschehen sein«, meinte Löwenzahn.
    Mütterchen trat auf ihren Stab gestützt näher an den Rand der Scholle. »Unter dem Fels ist ein Hohlraum«, stellte sie fest. »Der See geht darunter weiter.«
    Löwenzahn stimmte zu. »Gestern, als Geist und ich hier unten waren, dachte ich, ich hätte jemanden gesehen. Er sprang vor meinen Augen ins Wasser und verschwand.«
    Alberich schlug sich fassungslos vor die Stirn. »Und das erzählst du uns erst jetzt?«
    »Ich hab’s Mütterchen erzählt«, verteidigte sich der Krieger.
    »Das stimmt«, sagte die Räuberin grübelnd. »Aber seit wann haben Zwerge Kiemen?«
    »Zwerge hassen das Wasser«, knurrte Alberich, verärgert, dass man ihm Löwenzahns Beobachtung bisher vorenthalten hatte.
    Geist mischte sich ein. »Er könnte sich unter dem Felsen versteckt haben, bis Löwenzahn und ich wieder fort waren. Wenn es wirklich einen schmalen Hohlraum zwischen Stein und Wasser gibt, hätte er dort atmen können.«
    »Trotzdem wissen wir noch immer nicht, woher all diese Zwerge plötzlich kommen«, sagte Mütterchen.
    »Und was sie hier wollen«, fügte Alberich hinzu.
    Löwenzahn rollte mit den Augen. »Natürlich das, was alle wollen.«
    »Das Gold«, stimmte Mütterchen zu.
    »Dann sollten wir uns endlich die Horthalle ansehen«, meinte Löwenzahn, wollte sich abwenden und zurück in die Nebengrotte gehen. Da fiel sein Blick auf Geist. Das Moosfräulein war an eine der Wände getreten, auf der anderen Seite des begehbaren Teils der Höhle. Im Dämmerlicht verschmolz sie beinahe völlig mit dem moos- und algenbedeckten Hintergrund.
    »Das war es also, was ich gespürt

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