Der Zypressengarten
Jesus und seine Mutter Maria liebten sie – und damit die beiden nicht von jemand anderes Sorgen abgelenkt wurden, ging Floriana täglich in die Kirche, zündete eine Kerze für Dante an und erinnerte sie daran, dass ihre Gebete Vorrang hatten.
Im Sommer nach Dantes Fortgang wurde Costanza nach La Magdalena eingeladen, um mit Giovanna zu spielen, der jüngsten Bonfanti. Es stellte sich heraus, dass Costanzas Mutter nach der Messe mit Signora Bonfanti gesprochen und vorgeschlagen hatte, die beiden Mädchen zusammenzubringen. Signora Bonfanti war entzückt gewesen und hatte Costanzas Mutter geherzt wie ein lang vermisste Freundin. Floriana hatte die Contessa Aldorisio nicht erwähnt. Sie war viel zu erpicht darauf, dass ihre Tochter Mädchen ihres eigenen Standes kennenlernte, mit denen sie Umgang pflegte, jetzt, da sie größer wurde. Costanza hingegen wollte unbedingt, dass Floriana mit ihr hinging. Nicht bloß hatte sie zu große Angst, allein nach La Magdalena zu gehen, sie wusste auch sehr wohl, dass es Floriana gewesen war, die das Herz der Familie eroberte, nicht sie. Die Contessa gab unter der Bedingung nach, dass sie, sobald sie sich mit Giovanna angefreundet hatte, Floriana nicht mehr mitnahm. Überdies hatten sie und Signora Bonfanti ihre Bekanntschaft erneuert, sodass sie ihre Tochter persönlich zum Anwesen brachte, womit jede weitere Begleitung überflüssig war.
Es dauerte nicht lange, bis Costanza und Giovanna gute Freundinnen wurden. Wie Costanza war auch Giovanna scheu und unsicher. Sie besaß weder das Selbstvertrauen ihrer Schwester noch den Charme ihres Bruders. Floriana spielte mit ihnen, war allerdings schnell von den beiden gelangweilt. Sie sehnte sich nach Dante, der mit ihr durch den Garten wanderte. Aber er war fort, und sie wusste nicht, wann er wiederkam. Deshalb spielte sie mit Gute-Nacht. Der Hund war zu dem bisschen Dante geworden, an das sie sich klammern konnte. Sie brachte ihm Apportieren bei, auf Kommando Sitz zu machen und ihr zu folgen, wenn sie durch den Garten lief. Sie spielten Verstecken und endlose Spiele, die Floriana sich für ihn ausgedacht hatte. Und manchmal gab sie kleine Vorführungen für Giovanna und Costanza, die in ihren hübschen Kleidern dasaßen und anmutig applaudierten, als wären sie im Theater.
Damiana war begeistert, Floriana wiederzusehen, und bemutterte sie wie im Sommer zuvor. Sie ließ sie die Bälle holen, wenn sie mit ihren Freundinnen Tennis spielte, oder nahm sie mit auf ihr Zimmer, wo Floriana mit ihr aussuchen durfte, was sie anzog. Aber Florianas Herz sehnte sich nach Dante, und trotz aller Aufmerksamkeit, die ihr dort zuteil wurde, kam ihr das Anwesen ohne ihn leer vor.
Wäre Signora Bonfanti nicht gewesen, hätte Costanzas Mutter rasch dafür gesorgt, dass Floriana zu Hause blieb. Aber diese elfenhafte, verträumte Frau, bei deren zarter Anmut Floriana an eine Waldnymphe denken musste, hatte sich, wie ihre beide älteren Kinder, in l’orfanella verliebt. Die tragische Geschichte des Mädchens hatte Dante ihr erzählt, weshalb sie sich fest vornahm, das Kind mit aller mütterlicher Zuneigung aufzunehmen, die sie besaß, und das war eine Menge, denn sie hatte sich stets viele Kinder gewünscht.
Bei ersten Besuch nahm sie das kleine Mädchen bei der Hand und ging mit ihm in ihren Meerjungfrauengarten, wo Floriana das erste Mal, das sie in La Magdalena war, mit Dante gesessen hatte. Dort blieben sie den ganzen Nachmittag, betrachteten den Springbrunnen, lauschten den Vögeln und tauschten Gedanken und Ideen aus. Signora Bonfanti entdeckte, dass Floriana ihre Liebe zur Natur und ihre unstillbare Neugier auf die Welt teilte. Floriana fand in Signora Bonfanti eine sanftmütige Mutter, die ihr Blumen ins Haar flocht und ihr Geschichten und Gedichte vorlas. Sie kümmerte sich mit einer Zuneigung und Freundlichkeit um sie, wie es ihre eigene Mutter nie getan hatte.
Nach und nach wurde Floriana zu einem Dauergast in La Magdalena – wie die streunenden Hunde und Katzen, die Dante adoptiert hatte. Und wie sie wurde Floriana von jedermann gestreichelt und liebevoll geneckt, ausgenommen Contessa Aldorisio. Sie sah Floriana ausgesprochen ungern bei den Bonfantis, als wähnte sie ihre heimlichen Ambitionen für die Tochter durch sie gefährdet. Dabei war ihre Sorge vollkommen unbegründet, denn für Giovanna war Costanza schon bald wie eine Schwester, und sie blieben auch während der Wintermonate in Kontakt, wenn Giovanna in Mailand ihre teure Schule
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