Der Zypressengarten
besuchte. Floriana ging weiterhin täglich nach La Magdalena, obwohl die Familie längst fort war, und nahm Gute-Nacht mit in die Stadt, wo er Tauben auf der Piazza Laconda jagen konnte. Der Hund wurde zu ihrem ständigen Gefährten und ihrer größten Freude. Anders als Costanza, die sich viel zu vornehm fühlte, um mit Bediensteten zu reden, hatte Floriana sich längst mit den Leuten aus dem Ort angefreundet, die für die Bonfantis arbeiteten, und wenn sie nicht gerade in der Schule oder in der Kirche war, hielt sie sich oft auf dem Anwesen auf, spielte mit den Tieren und plauderte mit den Gärtnern.
Nach Giovannas Abreise suchte Costanza wieder den Kontakt zu ihrer alten Freundin, und Floriana freute sich darüber. Allerdings mussten sie sich jetzt in der Stadt oder am Strand treffen, denn Costanzas Mutter tat alles, was in ihrer Macht stand, um die beiden zu trennen. Costanza war mittlerweile dreizehn und konnte es nicht leiden, wenn man ihr sagte, was sie tun oder mit wem sie befreundet sein sollte. Zudem fühlte sie sich Floriana nach wie vor eng verbunden. Die Contessa Aldorisio war unterdes zuversichtlich, dass sich die beiden Mädchen auf die eine oder andere Weise einander entfremden würden. Immerhin führten sie gänzlich gegensätzliche Leben und gehörten sehr unterschiedlichen Gesellschaftsschichten an. Sollte sich eine Trennung wider Erwarten nicht natürlich ergeben, würde sie eben ein wenig nachhelfen.
Ein weiterer Sommer nahte, der zweite seit Dantes Fortgang, und Floriana vermisste ihn mehr denn je. Die Tage in La Madgalena zogen sich träge dahin, angefüllt mit schönen Menschen, großen Mittagsgesellschaften und Nachmittagen mit Gedichtlesungen im Meerjungfrauengarten. Signora Bonfanti lud Floriana ein, ihr bei einem Bildermosaik zu helfen, und sie verbrachten Stunden damit, im Wintergarten kleine Papiervierecke auszuschneiden und auf Leinwand zu kleben. Floriana liebte es, ihr nahe zu sein, den dösenden Gute-Nacht an ihrer Seite. Überall im Haus standen Bilder von Dante, und manchmal erheischte sie winzige Bröckchen Neuigkeiten über ihn, die Signora Bonfanti in ihre gedankenverlorenen Monologe einflocht. Anscheinend machte sich Dante in Amerika außerordentlich gut, obgleich seine Zukunft hier in Italien wäre, wo er im Unternehmen seines Vaters einmal an die oberste Spitze aufsteigen sollte.
Floriana mochte Signor Beppe nicht. Er hatte nichts vom Charme oder der Gutmütigkeit seines Sohnes. Sein Gesicht war nicht hässlich, aber hart mit einer tiefen, finsteren Stirn, verschlagenen Augen, und er hatte einen Stiernacken. Sein Mund war im entspannten Zustand mürrisch, grausam, wenn er vergnügt war, und wenn er lachte, schien es oberflächlich, als täte er es um des Effekts willen, nicht aus Freude. In Gedanken schien er immerfort bei der Arbeit, und dauernd wurde er am Telefon verlangt oder in sein Arbeitszimmer gebeten, wo Männer in schwarzen Anzügen auf ihn warteten, deren Zigarren die gesamte Marmorhalle vollstanken. Signora Bruno sagte, dass Beppe Bonfanti zur hiesigen Mafia gehörte und sogar schon Leute ermordet hatte. Doch obwohl seine Augen bemerkenswert kalt wirkten, tat Floriana das Gerede der Alten als puren Klatsch ab. Sie konnte nicht glauben, dass Dantes Vater ein Mörder war. Furchteinflößend jedoch war er allemal.
Er war stets in Begleitung von Zazzetta, einem griesgrämigen, finster dreinblickenden kleinen Mann mit Glatzkopf und großer Nase, der ihm ständig etwas zuflüsterte oder sich Dinge in einem schwarzen Büchlein notierte. Signor Beppe hörte ihm aufmerksamer zu als irgendjemandem sonst, und wollte er Zazzettas Aufmerksamkeit, reichte offenbar ein bloßes Brauenzucken. Signor Beppe verließ sich voll und ganz auf ihn, nannte ihn seinen braccio destro – seinen rechten Arm. Zazzetta mochte Floriana auch nicht.
Signora Bonfanti hielt sich von ihrem Mann fern, und er beachtete sie kaum. Floriana übersah er genauso wie die streunenden Tiere, die beim Mittagessen auf der Terrasse lagen. Sehr wohl aber bemerkte er Costanza. Anscheinend gefiel ihm die aufblühende Freundschaft seiner Jüngsten mit ihr, und er stellte Costanza unzählige Fragen über sich und ihre Familie. Costanza erzählte Floriana, dass Beppe ihre Eltern zum Abendessen eingeladen hatte und sie nun enge Freunde waren. Das alles war für Floriana bedeutungslos, denn sie interessierte sich nur für Dante, seine Mutter und seinen Hund.
Fünf lange Jahre waren vergangen, seit Floriana zum
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