Der Zypressengarten
bringe euch raus«, sagte Rafa, ehe er sich zu Marina drehte. »Vielen Dank für das Essen. Sie kochen bessere Spaghetti als die Italiener.«
Marina lächelte. »Danke. Was für ein großes Kompliment von einem Halbitaliener.«
Rafa begleitete Clementine nach draußen. »Was für ein Tag«, sagte er und steckte die Hände in die Taschen.
»Wie kommt es, dass jede Verabredung mit dir damit endet, dass ich mir die Klamotten runterreiße und ins Meer springe?«
»Wenn du das nicht selbst herauskriegst, bist du weniger klug, als ich dachte.«
Sie grinste. »Tja, dann muss ich wohl zu dem Schluss kommen, dass du dir einiges einfallen lässt, um eine Frau dazu zu bringen, dass sie sich auszieht.«
»Bei manchen Frauen bedarf es mehr Einfallsreichtum als bei anderen.«
»Knuddelst du Biscuit von mir?«
»Und ob. Komm doch morgen her und besuch ihn. Immerhin gehört er uns beiden.«
»Das mache ich.«
»Ich rufe dich morgen früh an und berichte, wie es ihm geht.«
»Hoffentlich schläft er die Nacht gut.«
»Nach dem, was er heute mitgemacht hat, wird er wie ein Baby schlafen.« Er lachte. »Und ich ebenfalls.«
Clementine stieg in den Wagen ihres Vaters, und sie fuhren los. Im Rückspiegel sah sie, dass Rafa ihnen nachblickte, und winkte ihm durchs Seitenfenster. Er winkte zurück. Dann faltete Clementine die Hände und atmete zufrieden ein.
Grey setzte sie vor Joes Haus ab, doch statt hineinzugehen, wartete sie, bis er wieder weg war, und ging zu ihrem Mini. Sie wollte sich Joe noch nicht stellen, sondern lieber in Ruhe nachdenken und sich Rafa nahe fühlen. Deshalb fuhr sie zu dem Haus, das Gott vergessen hatte.
Der Mond war groß und warf hinreichend silbriges Licht auf die Landschaft, dass Clementine den Weg übers Feld erkennen konnte. Sie fürchtete sich nicht, weil sie allein war. Vielmehr fühlte es sich gut an, draußen im Wind zu sein, eingehüllt von der Nacht. Im Kircheninnern wäre es allerdings viel zu dunkel, und so setzte sie sich auf die Eingangsstufen, lehnte sich an die Mauer und lauschte dem Blätterrascheln und dem steten Murmeln der See unter ihr. Das Mondlicht wurde von den Gischtkronen der Wellen reflektiert und wippte mit ihnen auf und ab. Heute Nacht machte das Bild Clementine nicht melancholisch, sondern glücklich. Ein herrliches Wohlgefühl, ähnlich dem, das frische Cupcakes aus dem Ofen hervorrufen konnten, erfüllte ihre Brust. Nun wusste sie, dass es so etwas wie die große Liebe gab und sie sich sehr plötzlich, beinahe unbemerkt anschleichen konnte. Ja, sie erkannte sie und sehnte sich mit einem freudigen Schauer danach, sie in ihr Herz zu lassen.
21
Toskana
Floriana lag am Strand und blickte gedankenverloren in die Ewigkeit. Sie betrachtete die Sterne, die hell und klar am Himmel leuchteten, und fragte sich, wie viele von ihnen schon längst ausgebrannt sein mochten, sodass ihr Licht nichts als eine Erinnerung war. Ähnlich stellte sie sich den Tod vor. Ihre Mutter könnte ebenso gut tot sein, denn sie käme nie zurück. Das akzeptierte Floriana inzwischen. Einst hatte die Erinnerung an sie genauso hell wie jene Sterne gestrahlt, doch nun hatte auch sie ihren Gang genommen. Floriana konnte sich kaum mehr erinnern, wie sie ausgesehen hatte. Und an ihren kleinen Bruder erinnerte sie sich überhaupt nicht mehr. Gedanken wie diese waren früher schmerzlich gewesen, und auf eine seltsame Weise hatte sie diesem finsteren Gefühl etwas Tröstliches abgewonnen, vergleichbar dem, wenn man mit der Zunge nach einem schmerzenden Zahn tastete. Heute war ihr Herz verhärtet und empfand nichts mehr, nicht einmal Wut.
Es war fast fünf Jahre her, seit Dante fortgegangen war, und Floriana dachte jeden Tag an ihn. Sie war beinahe sechzehn, eine junge Frau; im Innern jedoch war sie immer noch das kleine Mädchen, das durch das Tor von La Magdalena guckte. Und sie liebte ihn immer noch.
Nachdem er sie verließ, glaubte sie, ihre Welt würde auseinanderbrechen, und verlor jeden Lebenswillen. Was hatte ihr Leben ohne Dante für einen Sinn? Sie suchte Trost in der Kirche, weil sich niemand außer Jesus um ihr Unglück scherte. Und er hatte die Hand nach ihr ausgestreckt, ihr Herz berührt und leise, sodass es niemand sonst hören konnte, zu ihr gesprochen. Er sagte ihr, sie solle warten, denn der Tag würde kommen, an dem Dante zurückkehrte und sie bat, seine Frau zu werden. Also trocknete sie ihre Tränen, machte den Rücken gerade und beschloss, zu tun, was Jesus ihr erzählte, denn
Weitere Kostenlose Bücher