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Der Zypressengarten

Der Zypressengarten

Titel: Der Zypressengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Santa Montefiore
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sie nun Brüste und eine schmale Taille hatte. Fünf Jahre hatten das hagere, schmuddelige Kind in eine auffallend schöne junge Frau verwandelt, und ihm schwoll das Herz vor verzücktem Staunen.
    »Hast du das Fest schon über?«, fragte sie mit jenem Blitzen in den Augen, das ihm so vertraut war.
    »Ich merkte, dass wir heimlich ausspioniert wurden, da wollte ich mal nachsehen.«
    »Dann erinnerst du dich noch an die Lücke in der Mauer?«
    »Und an den Eindringling, der weiß, wie man dort hinüberklettert.«
    »Was willst du mit diesen Eindringlingen machen, wenn du sie erwischst?«
    Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ich muss sie wohl festnehmen.«
    Florianas Herz pochte wild gegen ihre Rippen. »Ich glaube, du unterschätzt, wie gerissen manche von ihnen sind.«
    »Da könntest du recht haben. Wenn es sich um Streuner wie Gute-Nacht handelt, tricksen sie einen zahmen Jungen wie mich locker aus.«
    Sie lachte. »Und wenn sie dir einen vorübergehenden Waffenstillstand anbieten?«
    »Du meinst, die Waffen niederlegen, um ein friedliches Gespräch zu führen?«
    »Ja, ungefähr so. Aber nur vorübergehend, natürlich.«
    »Ich denke, das ließe sich einrichten. Vielleicht begeben wir uns dazu besser auf neutralen Boden.«
    Er sprang auf die Mauer und streckte ihr die Hand hin. Floriana nahm sie und ließ sich von ihm nach oben ziehen. Ihn zu berühren fühlte sich wie das Natürlichste auf der Welt an, als wären sie schon ewig miteinander vertraut, und sie wollte platzen vor Glück, dass sie endlich wiedervereint waren – wie Gott es vorgesehen hatte.
    Auf der anderen Seite der Mauer schlenderten sie die Straße entlang, dicht gefolgt von Gute-Nacht. Zwischen ihnen herrschte eine seltsame Intimität, als kennten sie sich so gut, dass Worte unnötig waren.
    »Habe ich dir gefehlt?«, fragte er, denn er spürte genau wie sie, dass ihn eine starke Strömung erfasste.
    »Ja.« Es war sinnlos, die Wahrheit zu verheimlichen. »Habe ich dir gefehlt?«
    Dante blieb stehen und ergriff ihre Hand. »Ich dachte eigentlich nicht«, antwortete er, während ihn eine Welle von Zärtlichkeit überkam. »Aber jetzt wird mir klar, dass ich dich vermisst habe. Du ahnst gar nicht, wie sehr.«

23
    Floriana wusste nun, dass die fünf Jahre Warten nicht vergebens gewesen waren. Nichts konnte sie trennen, denn die höheren Mächte des Schicksals würden sie immer wieder zusammenführen, so unausweichlich wie die Schwerkraft. Es machte nichts mehr, dass sie nicht zur Feier eingeladen worden war, weil Dante sie gesucht und gefunden hatte.
    Gemächlich schlenderten sie die schmale Straße hinauf, Hand in Hand, und überbrückten den Graben, den fünf Jahre gerissen hatten. Dann setzten sie sich auf die Felsen, von denen aus man übers Meer blickte. Der Mond beleuchtete einen Pfad, der direkt von hier in den Himmel führte. Floriana dachte, die Nacht könnte nicht schöner sein. Die Sterne waren klarer denn je, funkelten wie leuchtende neue Erinnerungen, und der warme Wind duftete nach Pinien.
    »Ich hätte nicht erwartet, eine Frau an der Mauer zu finden«, gestand Dante und musterte ihr Gesicht.
    »Was hattest du denn nach fünf Jahren erwartet?«
    »Ehrlich gesagt, rechnete ich mit dem kleinen Mädchen von damals, mit dem verknoteten Haar und den großen ängstlichen Augen.«
    »Ich war nie ängstlich!«, protestierte sie lachend und knuffte ihn.
    »Doch, warst du. Du hast es nur gut überspielt.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Angst ist ein Luxus, den ich mir nicht erlauben kann, Dante.«
    Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. »Das erste Mal, das ich dich am Tor entdeckte, werde ich nie vergessen. Du warst wie eine kleine Gefangene, schmutzig und zerzaust, die aus ihrem Gefängnis heraus in die Freiheit guckt. Ich hatte die Gartenanlagen für selbstverständlich genommen, bis ich sie mit deinen Augen gesehen habe. Alles berührte dich, und du hast selbst die einfachsten, unscheinbarsten Dinge voller Wunder betrachtet – die Vögel in den Bäumen oder die Wasserfontänen aus dem Springbrunnen. Und jetzt bist du eine junge Frau, eine sehr schöne junge Frau, aber innen drin bist du immer noch dasselbe verlorene kleine Mädchen, und ich möchte mich um dich kümmern.«
    Er umfing ihr Gesicht mit beiden Händen. Die letzten fünf Jahre hatte er sich treiben lassen, nicht ahnend, woher seine Unruhe kam, wie ein Seemann, der so mit dem Navigieren beschäftigt ist, dass er die leise Stimme nicht hört, die ihn nach Hause

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