Der Zypressengarten
Nichts sonst auf der Welt war von Bedeutung. Sie hörte ihren Vater im Nebenzimmer schnarchen. Was für ein nutzloser, selbstsüchtiger Mann er war. Sie sehnte sich nach einem Vater, der sie liebte, dem sie ihre Gedanken und ihre Wünsche anvertrauen konnten. Einem Vater, auf den sie stolz sein konnte. Niemals würde sie Elio mit Dante bekannt machen.
Dante erschien zum Frühstück auf der Terrasse, wo ein runder Tisch im Schatten gedeckt worden war. Seine Mutter trug einen breitkrempigen Sonnenhut und trank Kaffee, ihre blasse Haut glänzend von Feuchtigkeitscreme und die Augen hinter einer großen Sonnenbrille verborgen. Giovanna knabberte schläfrig an einem Toast, während Damiana Kaffee trank und eine Schale mit Obst aß. Beppe thronte wie ein König am Tisch und blickte auf die Überreste des Festes hinab.
Dort waren die Bediensteten schon dabei, den Baldachin abzubauen und Tische und Stühle wegzuräumen – sowie die Gäste, die in der Ecke eingeschlafen waren. Bis zum Abend würden die Gärten wieder so perfekt wie zuvor aussehen und der Ausblick auf den Park wäre unversperrt.
»Ah, mein Sohn!«, rief Beppe. »Komm, setz dich zu mir und erzähl mir, wie dir deine Feier gefiel.«
Ein Butler rückte ihm den Stuhl hin. Dante setzte sich und bat um schwarzen Kaffee. »Sie war fantastisch, Papà. «
Sein Vater strahlte stolz. »Guter Junge. Keiner schmeißt solche Feste wie ich. Irgendwelche erwähnenswerten Mädchen?«
Dante zögerte. Das eine Mädchen, über das er sprechen wollte, durfte nicht erwähnt werden. »Viele.«
Beppe klopfte ihm auf den Rücken. »Das ist mein Junge. Viele!« Der Butler schenkte Dante eine Tasse Kaffee ein, als das Frühstück von einem Anruf unterbrochen wurde. Beppe verschwand, um das Gespräch in seinem Arbeitszimmer anzunehmen.
»Und, ihr zwei, wie war es für euch?«, fragte Dante seine Schwestern.
»Zauberhaft«, sagte Damiana, die merklich auflebte, kaum dass ihr Vater den Tisch verlassen hatte.
»Es war der tollste Abend meines Lebens«, schwärmte Giovanna.
»Ich habe gesehen, dass Costanza hier war«, sagte Dante. »Sie ist ziemlich groß geworden, nicht?«
»Aber die kleine Floriana ist nicht gekommen«, mischte seine Mutter sich traurig ein. »Ich kann euch gar nicht sagen, wie enttäuscht ich war.«
»Hattest du sie eingeladen?«, fragte Dante verwundert.
»Wieso denn nicht? Ehrlich, Dante, du bist genauso schlimm wie dein Vater. Sie ist bezaubernd, und ich mag sie sehr.«
»Weißt du, wo sie wohnt?«
»Sie wohnt in einem einfachen Haus in Herba, na und? Was macht das schon? Ihre genaue Adresse habe ich allerdings nicht, deshalb hatte ich Costanzas Mutter die Einladung für sie mitgegeben.«
Dante konnte sich denken, was passiert war. »Ich bezweifle, dass sie Floriana die Einladung gegeben hat.«
Violetta nahm ihre Sonnenbrille ab. »Was meinst du?«
»Sie ist schrecklich versnobt.«
»Denkst du allen Ernstes, dass sie zu solch einer Boshaftigkeit fähig wäre?«
»Unbedingt.«
Violetta lächelte. »Ich hoffe, dass es ein Versehen war, keine böse Absicht. Es kam mir jedenfalls seltsam vor, dass Floriana nicht da war.«
»Sie wäre mit Freuden gekommen«, versicherte Damiana. »Sie ist wahnsinnig gerne hier, und sie betet dich an, Mamma. Du bist für sie die Mutter, die sie nie hatte.«
»Ich bin sicher, dass Costanzas Mutter ihr die Einladung nicht absichtlich vorenthalten hat«, sagte Giovanna. »Vielleicht hat sie es einfach nur vergessen oder sie verlegt.«
»Kann sein.« Violetta trank ihren Kaffee aus. »Wie dem auch sei, ich werde sie nicht fragen. Gewiss war es ein pures Versehen. Aber ich muss Floriana dringend sagen, dass sie nicht von uns ausgeschlossen wurde. Wenn sie keine Einladung bekommen hat, wird sie verletzt sein. Kommt sie heute mit Costanza her?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Giovanna. »Ich habe Costanza eingeladen, aber sie hat nichts von Floriana gesagt.«
»Wird sie bestimmt«, sagte Damiana. »Normalerweise kommen sie doch immer zusammen.«
Dante saß still da, während die Frauen über die Wahrscheinlichkeit sprachen, dass Floriana zum Schwimmen herkam. Er wusste mit Sicherheit, dass sie hier sein würde. Allerdings fragte er sich, wie seine Eltern reagierten, wenn er ihr den Hof machte. Seine Mutter mochte sie sehr, aber wäre sie in ihren Augen gut genug für ihren Sohn?
Er sah Violetta an. Sie entstammte der venezianischen Mittelschicht, war verträumt und idealistisch und liebte die Natur und Tiere ebenso
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