Der Zypressengarten
Hausmauer. Signora Bruno ließ ihn herein und brachte ihn nach oben zu der kleinen Wohnung. Zuerst war es Floriana schrecklich unangenehm, dass er ihre Armut sah, doch ihre Scham schwand, als sie begriff, dass er gekommen war, um ihr Lebewohl zu sagen.
Da sie fürchtete, dass ihr Vater plötzlich auftauchen könnte, nahm sie Dante mit in ihr Zimmer, wo sie ungestört waren. Der Raum war klein und schlicht. Ein großes Kreuz hing an der weißen Wand hinter dem Bett, und die Bodenfliesen fühlten sich kühl unter ihren Füßen an. Gegenüber dem Metallbett stand eine Kommode. Das Fenster war weit offen, aber keiner von ihnen nahm die Geräusche wahr, die mit dem Wind hereinwehten.
Einen Moment lang blickten sie einander stumm an, sprachlos angesichts all der Hindernisse, die sich zwischen ihnen auftürmten. Auf einmal schienen die endlosen Sommertage weit weg, verschwunden wie ihr sorgloses Lachen und die kühnen Träume. Sie sahen einander an, als müssten sie sich gegenseitig bestätigen, dass ihre Liebe bestehen konnte, wenn sie sie nur gut genug hegten und schützten, ähnlich einer zarten Flamme, die man mit beiden Händen vor dem Wind abschirmte.
Dante zog Floriana in seine Arme und hielt sie fest. »Ich schreibe dir und komme, so oft ich kann«, sagte er, schloss die Augen und atmete den Vanilleduft ihrer Haut ein, den er bald schon schmerzlich vermissen sollte.
»Ich warte auf dich, Dante. Was auch geschieht, ich warte.«
Die Worte »was auch geschieht« trafen ihn mit voller Wucht, und sein Kummer überwältigte ihn. Er konnte nicht mehr klar denken, stellte sich Floriana allein in Herba vor, ohne jemanden, der sie beschützte, und hilflos bösartigen Kerlen ausgeliefert. Der Gedanke weckte eine rasende Eifersucht in ihm, gepaart mit einem unerträglichen Gefühl der Ohnmacht.
Benommen vor Sehnsucht, ließ er sich von seiner Leidenschaft hinreißen. Er küsste sie innig, und sie umklammerte ihn fester denn je. Ein wildes, unkontrollierbares Verlangen packte ihn, sodass sein Instinkt übernahm und sein Verstand aussetzte. Er trug Floriana zum Bett und legte sich neben sie. Sie war bereit, sich Dante hinzugeben, alles zu tun, was er wollte. Da ihr keine Mutter etwas erklärt hatte, wusste sie gar nicht recht, was geschah, nur dass es sich wunderbar anfühlte, von ihm an den intimsten Stellen berührt zu werden. Und dann war er in ihr, bewegte sich stöhnend und rhythmisch. Schweißperlen traten auf seine Stirn, als er tiefer in sie drang, sie ganz erfüllte. Floriana biss sich auf die Unterlippe und hielt das anfänglich Unangenehme aus, weil sie sicher war, dass diese Vereinigung sie auf ewig aneinander binden würde.
Hinterher lagen sie eng umschlungen zusammen. Dante bebte vor Reue, denn ihm wurde bewusst, was er getan hatte. Floriana in ihrer Unschuld lächelte, die Wangen gerötet vor Glück, weil sie nun in jeder Hinsicht, bis auf den Namen, einer dem anderen gehörten.
»Das darf niemand erfahren«, sagte Dante ernst. »Ich wollte es nicht tun.«
»Ich bin froh, dass du es getan hast, Dante. Ich habe mich dir gerne hingegeben.«
»Aber du bist erst sechzehn! Ich könnte ins Gefängnis kommen.«
»Ich erzähle es keiner Menschenseele. Das bleibt unser Geheimnis, versprochen.«
Ihr Versprechen beruhigte ihn. Er küsste sie auf die Stirn. »Jetzt bist du wirklich mein.«
»War ich immer. Von dem Moment an, als du mich in euren Garten gelassen hast, gehörte ich dir.«
»Habe ich dir wehgetan?«
»Nur ein bisschen.«
»Entschuldige.« Er küsste sie wieder und drückte sie an sich.
»Du musst dich nicht entschuldigen. So soll es doch sein, oder nicht?«
Dante wusste es nicht, weil er bisher noch keine Frau entjungfert hatte. Die Realität kehrte erbarmungslos zurück und machte ihm klar, wie rücksichtslos er gehandelt hatte. Und sie brachte ihm die erstickende Gewissheit, dass er eine große Verpflichtung eingegangen war. Er umklammerte Floriana noch fester, küsste ihre Schläfe und flüsterte wieder und wieder, »Ich liebe dich.«
Dann war er fort.
Floriana wartete auf Regen, der nicht kam. Sie wollte, dass Wolken den Himmel verdunkelten und Regen den Sommer wegwusch, damit er sie nicht länger quälte. Doch der Sommer bescherte ihr weiter schwüle Tage und goldene Abende, an denen sie Dantes Abwesenheit wie ein Messer in ihrer Brust fühlte.
Als sie zur Villa La Magdalena ging, war die Familie nach Mailand abgereist. Das Haus war still. Nur die Bediensteten waren dort, die alles
Weitere Kostenlose Bücher