Der Zypressengarten
hatte viel zu große Angst. Starr blickte sie auf die Straße vor sich. Wenigstens fuhren sie in die richtige Richtung. Ihr fielen die Hände des Mannes auf, die groß und kräftig waren, vor allem aber das Lenkrad ungewöhnlich fest umklammerten. Dann schweifte ihr Blick zur Tür, und sie stellte fest, dass sie verriegelt war. Sämtliche Türen waren verriegelt. Ihr stockte der Atem, wurde übel vor Angst. Weiter vorn ragte das Tor von La Magdalena auf. Eine Welle von Sehnsucht überrollte Floriana. Sie rang die Hände, deren Innenflächen schweißfeucht wurden. Langsam näherten sie sich dem Tor – so unwirklich langsam, dass es Floriana vorkam, als würde sie über allem schweben und es von oben betrachten, ähnlich einem Film über jemand anderen.
In dem Moment kam Gute-Nacht auf die Straße gerannt und holte sie aus ihrer Trance. Sie setzte sich auf und blickte verzweifelt zu dem Hund. Er schien zu ahnen, dass sie in dem Wagen war, denn er reckte den Kopf, um sie zu sehen. Aber der Wagen rauschte an dem Hund und dem Tor von La Magdalena vorbei. Floriana drehte sich um und hämmerte gegen das Fenster. »Gute-Nacht! Gute-Nacht!« Der hörte sie und rannte hinter dem Auto her.
»Hinsetzen«, befahl der Mann. »Sonst baue ich noch einen Unfall.«
»Wohin bringen Sie mich?«, fragte sie. Als er nicht antwortete, begann sie zu schluchzen. »Sie bringen mich nicht zu Dante, stimmt’s?« Sie blickte durch die Rückscheibe. Der Hund wurde langsamer, seine Gestalt kleiner und kleiner, bis er nur noch ein Tupfer auf dem Asphalt war. »Was haben Sie mit mir vor?« Immer noch keine Antwort. Er hatte seine Befehle. Er umklammerte das Steuer, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
Am nächsten Tag fiel strömender Regen. Dante stand mit aufgeklapptem Regenschirm an der Mauer und wartete auf Floriana, wie es abgemacht war. Er schritt auf und ab, immer wieder, sah mehrfach auf seine Uhr und wunderte sich, dass sie nicht kam. Gute-Nacht stand mitten auf der Straße, die Ohren angelegt, den Schwanz eingekniffen, und wirkte genauso rastlos wie sein Herrchen. Winselnd trottete er im Kreis, während Dante zusehends unruhiger wurde, nur leider konnte Gute-Nacht seinem Herrn nicht sagen, was er gesehen hatte.
Schweren Herzens fuhr Dante nach Herba. Er traf Signora Bruno an der Tür, die jedoch genauso verwundert war wie er. Sie hatte angenommen, dass Floriana bei ihm war.
Dante fand Elio in Luigis Bar, wo der alte Mann in sein Schnapsglas schluchzte. »Ich habe meine Tochter verloren«, heulte er.
»Wo ist sie?«, fragte Dante.
»Genau wie ihre Mutter.«
»Was reden Sie denn?«
»Sie ist mit ihrem Liebhaber auf und davon.«
»Welcher Liebhaber?«
»Der, den sie auf dem Markt getroffen hat.«
»Sie sind ja völlig wirr«, sagte Dante wütend.
»Nein, sie ist eine Hure!« Der alte Mann grunzte. »Und Sie haben gedacht, dass Kind ist von Ihnen. Pah! Das ist das Witzigste an der Geschichte. Ich würde lachen, wenn mir nicht so verflucht elend wäre. Genau wie ihre Mutter. Jetzt bin ich endgültig ganz allein.«
Dante verließ die Bar, schäumend vor Wut. Was Elio sagte, konnte unmöglich wahr sein, das wusste er. Der Mann war betrunken und halluzinierte. Dante musste Floriana finden, doch wo sollte er anfangen zu suchen?
Als er zur Villa La Magdalena zurückkehrte, wartete Gute-Nacht im Regen am Tor auf ihn. Zuerst erkannte Dante ihn kaum wieder. Der Hund war vollständig durchnässt und das Fell um seine Schnauze grau, sodass er alt und traurig aussah. Dante stieg aus dem Wagen, lief zu ihm und hob den Hund in seine Arme. Auf dem Weg zurück zum Auto überkam ihn ein solch mächtiges Verlustgefühl, dass er auf die Knie sank. Er vergrub das Gesicht im nassen Fell des Hundes und weinte.
»Wo ist sie? Wo ist sie hin?«
Gute-Nacht entwand sich ihm und humpelte auf die Mitte der Straße. Dort legte er sich winselnd hin, den Kopf zwischen seinen Vorderpfoten.
29
Devon
Rafa wurde von Biscuit geweckt, der mit einem übermütigen Sprung auf seinem Bett landete. Für einen Sekundenbruchteil wollte er ausholen, sich verteidigen, bis ihm die gestrige Rettungsaktion wieder einfiel. Die Bilder waren sofort wieder in seinem Kopf, und er nahm den kleinen Hund lachend in seine Arme.
»Ah, du bist’s, Biscuit«, sagte er auf Spanisch. »Du willst raus, was?« Biscuit schien ihn zu verstehen, denn er hüpfte vom Bett und lief zur Tür, wo er schwanzwedelnd wartete.
Rafa zog sich an und begab sich mit seinem neuen Gefährten
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