Der Zypressengarten
nach unten. Das Hotel wurde langsam wach. Man konnte das Ächzen der Wasserrohre unter den Böden hören, das leise Geschirrklimpern aus dem Speisesaal, wo die ersten Frühaufsteher beim Frühstück saßen. Shane war mit Tom in der Empfangshalle, und Jennifer stand mit ihrem Handy in der Hand hinter der Rezeption und guckte nach, ob sie neue SMS bekommen hatte. Als Biscuit die Treppe heruntergestürmt kam, unterbrachen sie alle, um ihn begeistert zu begrüßen.
»Der scheint den Schock gut überstanden zu haben«, sagte Shane und klopfte dem Hund leicht auf die Seite.
»Und er hat gut geschlafen«, berichtete Rafa.
»Nein, ist der süß!«, schwärmte Jennifer, hockte sich hin und kraulte Biscuit hinter den Ohren. »Ich bin froh, dass er bleiben darf.«
»War auch ganz schön knapp«, sagte Tom grinsend.
Rafa nahm Biscuit mit vor das Hotel und sah ihm zu, wie er über den Rasen flitzte. Es war ein wunderschöner Junimorgen. Der Himmel war von einem leichten Dunst verschleiert, in den die Sonne bereits hier und da Löcher gerissen hatte, um blaue Flecken zu enthüllen. Rafa steckte die Hände in die Taschen und dachte an Clementine. Kaum hatte er ihr Bild im Geiste vor sich, erfüllte ihn eine herrliche Leichtigkeit. Er stellte sich ihr Lächeln vor und wie sehr es ihr Gesicht veränderte. Dann wurden seine Gedanken von dem Grund überschattet, aus dem er hier war. Er wusste, dass es nicht in seinem Interesse wäre, ihr zu nahe zu kommen, vor allem nicht beim gegenwärtigen Stand der Dinge. Dennoch hatte er schon jetzt das wohlige Gefühl, dazuzugehören, und er fing an, Clementine wirklich gern zu haben. Er freute sich darauf, sie wiederzusehen, und war nicht sicher, ob er bis zum frühen Abend warten könnte. Während Biscuit ausgiebig herumschnüffelte und all die neuen, unbekannten Gerüche in sich aufnahm, schlenderte Rafa zum Gemüsegarten.
Dort holte er sein BlackBerry hervor. Er musste sie unbedingt anrufen, bloß ihre Stimme hören. Nachdem er auf dem Display ihre Nummer aufgerufen hatte, tippte er das Anrufsymbol. Es klingelte einige Male, ehe ihre Mailbox ansprang. Rafa hörte sich den Text an und schmunzelte. »Hi, hier ist Clemmie. Kein guter Zeitpunkt, bedaure. Ihr wisst ja, wie’s geht.«
Dann folgte das Piepen.
» Buenas días, Clementine«, sagte Rafa. »Ich bin mit Biscuit im Garten. Es ist ein schöner Tag, und mir kommt es falsch vor, dass ich unseren Hund ohne dich ausführe. Er hat eben ein sehr spannendes Loch im Gras entdeckt. Zum Glück ist es nicht so groß, dass er reinkriechen kann. Wir müssen Futter für ihn kaufen, nicht? Sag mir Bescheid, wann du Zeit hast. Ich wünsche dir einen netten Tag im Büro. Ciao .«
Als er auflegte, preschte Biscuit gerade auf Harvey zu, der am Ende des Gemüsegartens aus seinem Schuppen kam. Der alte Mann war bass erstaunt, einen Hund auf dem Grundstück zu sehen, und blickte sich suchend um, woher er kommen könnte. Rafa lief zu ihm, um es zu erklären. »Ah, Rafa! Gehört dieser kleine Kerl zu Ihnen?«
»Er heißt Biscuit. Clementine und ich haben ihn gestern Abend aus einer Felsenhöhle gerettet.«
»Hat Marina ihn schon gesehen?«, fragte Harvey besorgt.
»Sie sagt, wir dürfen ihn behalten.«
»Sagt sie das?«
»Ja. Sie war nicht sonderlich froh darüber, aber sein Besitzer wollte ihn ersäufen.« Rafa zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, er tat ihr leid.«
»Ich würde ihn trotzdem tunlichst von ihr fernhalten«, riet Harvey. »Ich glaube, sie hat Angst vor Hunden.«
»Vielleicht hat sie früher mal schlechte Erfahrungen gemacht.«
»Kann sein.« Harvey bückte sich, um den Hund zu streicheln. »Ein Verschmuster, was? Dauert bestimmt nicht lange, bis er ihr Herz erobert.« Dann sprach er mit Biscuit. »Du machst doch keinem Angst, oder?«
»Ich denke eher nicht, dass er diesen Baffles abschreckt. Was meinen Sie?«
Harvey lachte. »Nein, sicher nicht. Er hat nix von einem Rottweiler. Aber irgendein Hund ist immer noch besser als keiner. Der kleine Kerl könnte uns alle verblüffen und den Einbrecher beim Schlafittchen packen.« Er richtete seine Tweedschirmmütze und stapfte durch den Garten. Biscuit rannte in die entgegengesetzte Richtung, und Rafa blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Als er den Weg zum Strand hinunterging, meldete ihm der einzelne Klingelton seines BlackBerrys, dass er eine Textnachricht empfangen hatte. Er wusste schon, dass sie von Clementine war, bevor er das Telefon hervorholte, und jubelte
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