Der Zypressengarten
Rafas Heldentat zu erinnern. Also hatte sie sich eine Geschichte ausgedacht, dass sie ihrem Vater mit seinem Boot helfen musste und dabei ins Wasser gefallen war, weshalb sie seinen Bademantel trug und ihre nassen Sachen in einer Plastiktüte mitbrachte.
Joe hatte ihr geglaubt, weil er es wollte. Falls er einen Verdacht hegte, zeigte er es nicht. Er hatte sie in die Arme genommen, und sollte er bemerkt haben, dass sie sich unweigerlich verkrampfte, ignorierte er auch das.
Sie hatte lange Zeit in der Badewanne gesessen und sich jede Einzelheit ihrer Rettungsaktion ins Gedächtnis gerufen – wie Rafa so mutig losgeschwommen war, wie er sie ermunterte, wie er sich um das gefährdete Tier sorgte. Er hatte ihr Herz berührt, und sie hatte es ihm weit geöffnet. Nur wusste er nicht, dass sie ihn bereits hineingelassen hatte.
Warum beendete sie die Sache mit Joe nicht einfach? Diese Frage musste sie sich mehrmals stellen und kam jedes Mal zur selben Antwort: Dann hätte sie niemanden mehr.
Am Morgen hatte die Liebe sie früh aus dem Bett gelockt. Sie hatte Joe schlafen gelassen, alle viere von sich gestreckt auf dem Bett, und war viel zu aufgedreht gewesen, um Reue zu empfinden. Ihr Bauch kribbelte, als wäre darin ein ganzes Ameisenvolk unterwegs. Clementine hatte keinen Hunger, ging aber trotzdem zum Black Bean Coffee Shop, um sich Rafa nahe zu fühlen, auch wenn er nicht dort war. Als sie seine Nachricht abhörte, hatte sie im Stillen gejubelt. Die Aussicht auf einen nachmittäglichen Ausflug zum Zoogeschäft ließ sie durch den Tag schweben.
Verträumt hatte sie an ihrem Schreibtisch gesessen, Sylvia nur mit halbem Ohr zugehört, als die über Freddie jammerte und ob er wohl je seine Frau verlassen würde, und währenddessen immer wieder die Hunderettung in Gedanken durchgespielt. Sie glühte vor ansteckender Liebe, sodass jeder Mann, der das Büro betrat, es mit einem Lächeln auf den Lippen und einem besonderen Schwung im Gang wieder verließ. Mr Atwood hielt sich so viel wie möglich vorne bei ihr auf, schwirrte wie eine Mücke um ihren Tisch herum, doch Clementine nahm ihn kaum wahr.
Joe rief an, aber Clementine gelang es, einem Gespräch mit ihm aus dem Weg zu gehen. Sylvia sah misstrauisch zu ihr hinüber und fragte sich, wieso Clementine zu beschäftigt war, um mit ihm zu reden. Als Rafa allerdings um halb sechs mit Biscuit auftauchte, wurde es ihr klar: Clementine war verliebt – und nicht in Joe. Sie konnte fühlen, wie die Luft zwischen ihnen einem ganzen Geigenorchester gleich vibrierte, und konnte nichts dagegen tun, dass sie neidisch wurde. Warum konnte ihr die große Liebe nie begegnen?
Clementine knuddelte den Hund liebevoll und erzählte Sylvia, wie sie ihn vorm Ertrinken gerettet hatten. Rafa ergänzte, sollte er denjenigen jemals ausfindig machen, der ihn dort angebunden hatte, würde er ihn höchstpersönlich grün und blau prügeln. Ein alberner Stolz regte sich in Clementine, als sie sah, wie Sylvias Gesicht vor Bewunderung glühte. Er war nicht bloß gut aussehend, sondern auch noch ein Held. Biscuit hatte sich vom Schock seines Beinahe-Ertrinkens erholt, wie es einzig ein Hund konnte. Er wedelte hechelnd mit dem Schwanz, stupste seine Nase in Clementines Hand, wann immer sie abgelenkt wurde und aufhörte, ihn zu kraulen. Ja, er war eindeutig zufrieden mit seinen neuen Besitzern.
Sylvia beobachtete, wie sie gingen. Sie hatte in der Gazette von einem weiteren Einbruch gelesen. Diesmal war es ein kleiner, in das Haus von Edward und Anya Powell, die zufällig enge Freunde von Grey und Marina waren. Das Einzige, was der Einbrecher mitnahm, war ein riesiger Diamant-Verlobungsring, den Anya immer in einem Aschenbecher auf der Küchenfensterbank ablegte, wenn sie abwusch. Und der einzige Beweis, dass der Ring gestohlen und Anya ihn nicht nur verlegt hatte, war die »Danke schön«-Nachricht in der unverwechselbaren Handschrift Baffles, des höflichen Diebes. Der Journalist schrieb, dass es sich eventuell um einen Nachahmungstäter handeln könnte, denn warum sollte Baffles sich die Mühe machen, für ein kleines Schmuckstück einzubrechen, es sei denn, ihm machte es Spaß, der Polizei ein ums andere Mal durch die Lappen zu gehen?
Clementine und Rafa fuhren direkt zum Zoogeschäft. Sie füllten einen Einkaufswagen mit Hundefutter, Hundekeksen und Spielzeug. Rafa nahm Leckerlis aus den Regalen und brachte sie nach draußen zu Biscuit, damit er sie beschnuppern konnte. Clementine sah ihm amüsiert
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