Der Zypressengarten
auf dem Kopfsteinpflaster, knochige Straßenköter rotteten sich zu kleinen Rudeln zusammen, Frauen tratschten in Hauseingängen, Kinder spielten. Rafa erreichte die Piazza Laconda, wo Einheimische an Tischen draußen vor den Lokalen unter Sonnenschirmen saßen und Prosecco tranken. Rafa spürte die Anziehungskraft der Kirche und ging hinein. Von der letzten Messe waberte noch Weihrauchgeruch in der Luft, und ein Grüppchen alter Witwen war in den Bänken sitzen geblieben, wo sie sich leise unterhielten. Rafa schob die Hände in die Taschen und schritt langsam über die großen Steinplatten. Ihn erinnerte es an Clementine und ihren ersten Besuch in dem Haus, das Gott vergessen hatte. Prompt sehnte er sich nach ihr.
Ein junges Paar stand vor dem Opferkerzentisch und hielt sich bei den Händen. Rafa beneidete sie um ihr Glück. Der Mann lächelte ihm zu und reichte ihm eine Kerze. Stumm bedankte Rafa sich und nahm sie. Das Paar ging weg, sodass er allein vor dem Tisch mit den tänzelnden Flammen zurückblieb. Er dachte an seinen verstorbenen Vater, der hier früher Kerzen angezündet haben musste, so wie er es jetzt tun würde. Dann stellte er die Kerze auf den Docht, dachte an sein Vorhaben und bat Gott, ihm den Mut zu schenken, es umzusetzen.
Marina fühlte sich, als würde ihr eine eiserne, kalte Hand sämtliche Luft aus der Lunge quetschen. Eine Weile lang konnte sie nichts sagen, Dante nur ungläubig ansehen.
Er erklärte hastig: »Ach, Floriana, es ist nicht so, wie es sich anhört. Ich wollte nie deine Freundin heiraten. Es ist einfach passiert, weil, na ja, ich schätze, ich wollte immer nur einen Weg zu dir zurückfinden. Ich konnte die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Und Costanza war meine einzige Verbindung zu dir.« Traurig sah er zu ihr auf. »Jedes Mal, wenn ich sie ansah, dachte ich an dich, Floriana – bis mir dämmerte, dass sie eine Sackgasse war, die mich nirgends hinführte.«
»Costanza«, flüsterte sie. »Ich glaub’s nicht.«
»Wir haben uns gegenseitig sehr unglücklich gemacht.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Wir ließen uns nach fünfzehn Jahren scheiden.«
»Das tut mir leid.« Sie griff nach seiner Hand, und er packte und drückte sie.
»Fünfzehn vergeudete Jahre, Floriana. Jahre, die ich mit dir hätte verbringen sollen.«
»Ich habe gelernt, dass nichts verschwendet ist, Dante. Habt ihr Kinder?«
»Drei Töchter, die mir gleichermaßen Freude wie Sorge bescheren.« Die Liebe zu seinen Töchtern zauberte zumindest einige Farbe in sein Gesicht. »Aber vor allem Freude.«
»Costanza ist Mutter«, sagte Marina wehmütig. »Das freut mich für sie. Was ist aus der Contessa geworden?«
»Die Contessa.« Er verzog das Gesicht. »Ich habe sie verachtet, so sehr, dass ich es irgendwann nicht mal mehr im selben Zimmer mit ihr aushielt. Ihr Mann hat eine Zeit lang für meinen Vater gearbeitet, aber er war absolut unbrauchbar, und nachdem mein Vater sich zur Ruhe setzte, habe ich mich von ihm getrennt. Ich habe die beiden mehrmals aus ihren Schulden rausgekauft, bis es mir reichte. Inzwischen leben sie mit Costanza in Rom, und sie sorgt für sie. Aber die Contessa ist alt und unglücklich, und ihr Überdruss macht sie in jeder Beziehung hässlich.«
»Sie konnte gar nicht anders, als unglücklich zu sein. Derart materialistisch fixierte Menschen sind nie zufrieden.«
»Costanza redete immerzu von dir. Du hast ihr gefehlt. Und ich konnte ihr nie sagen, wie sehr ich dich vermisste. Ich musste meinen Kummer mit meiner Arbeit ersticken. Ich dachte, wenn ich jede Stunde arbeite, die Gott mir gibt, ist kein Raum mehr da, an dich zu denken.«
»Ach, Dante.«
»Vielleicht hat Costanza es gefühlt und von dir gesprochen, weil sie hoffte, dass sie mich damit glücklich macht, aber es wurde nur schlimmer. Als würde sie mit Sandpapier über meine Wunde reiben.«
»Das Einzige, was an Costanza verkehrt war, war ihre Mutter. Als ich in England ankam, hatte ich niemanden. Ich trauerte auch um sie.«
»Ich hätte mit ihr nie glücklich sein können, Floriana. Letztlich habe ich sie bloß geheiratet, um meinen Vater zufriedenzustellen und irgendeine Verbindung zu dir zu erhalten. Ich konnte nie eine andere als dich lieben.« Er lächelte sie versonnen an. »Die Einzige, die das wusste, war meine Mutter, auch wenn wir es niemals aussprachen.«
»Violetta. Wie geht es ihr?«
»Sie lebt in ihrer eigenen Welt. Hierher kommt sie nicht mehr. Sie wohnt in Mailand und geht kaum noch vor die Tür. Sag,
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