Der Zypressengarten
hast du Kinder?«
»Nein.«
Er runzelte die Stirn. »Nicht?«
»Gott strafte mich dafür, dass ich das eine weggab, das er mir schenkte.«
»Das ist nicht wahr.«
Beschämt senkte sie den Blick. »Ich habe mich von Gott abgewandt.«
»Aber du hattest keine Wahl, Floriana.«
»Ich hätte energischer um ihn kämpfen müssen.«
»Du warst doch selbst noch ein Kind!«
»Ja, und ich habe gefleht, dass ich ihn behalten darf. Ich habe ihn von ganzem Herzen geliebt.« Ihre Schultern begannen zu beben. »Deshalb habe ich das Armband von deiner Mutter und den Ring, zusammen mit einem Brief von mir in eine Schachtel gelegt und …«
Dante schlang die Arme um sie. »Ist ja gut. Wir finden ihn.«
Sie krallte die Hände in sein Hemd und rang nach Luft. »Ich habe es nie jemandem erzählt.«
»Nicht einmal deinem Mann?«
»Niemandem. Ich konnte nicht darüber reden. Ich bin vor mir selbst weggelaufen, Dante, vor meiner Schuld.«
Er hielt sie fest, und sie schloss die Augen. Hinter ihren geschlossenen Lidern wurden die Bilder von dem kleinen Baby wach, das sie an ihrem Busen genährt hatte. Von dem winzigen Geschöpf, das sie beobachtet hatte, während es schlief, ehrfürchtig vor dem Wunder der Geburt.
Sie versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen, doch das gelang ihr nicht. So sehr sie sich auch anstrengte, es blieb von einem Schleier verhangen, der immer dichter wurde, je mehr sie versuchte, ihn zu lüften.
Während die Schatten noch länger wurden und das Licht schwächer, redeten sie. Sie erzählte ihm von ihrem Leben in England und wie Grey einem Schutzengel gleich erschienen war, um sie mit viel Liebe und Verständnis aus dem tiefen schwarzen Loch zu retten.
»Er weiß nichts von meiner Vergangenheit; nicht einmal, dass ich Italienerin bin. Ich wohnte anfangs bei einer Pflegemutter, die mir Englisch beibrachte und mir half, mir ein neues Leben aufzubauen. Die Sprache lernte ich mit solchem Eifer, dass Grey, als wir uns kennenlernten, gar nicht auf die Idee kam, ich könnte keine Engländerin sein. Ich versuchte, nach vorn zu sehen und ein anderer Mensch zu werden. Irgendwie bildete ich mir ein, wenn ich Floriana in Italien zurücklasse, bleibt auch ihr Schmerz dort. Ich habe versucht, unseren Sohn zu vergessen. Auch dich habe ich versucht zu vergessen, Dante.« Für einen Moment schloss sie die Augen. »Aber das Herz kann nicht vergessen, und Wunden heilen nie vollständig.«
»Was hat dich bewegt, wieder zurückzukommen? Warum hast du nach all den Jahren beschlossen, wieder nach Hause zu gehen?«
»Weil ich Hilfe brauche. Du hast früher gesagt, ich könnte mich immer an dich wenden, egal was passiert.«
»Das gilt bis heute, Floriana.« Sie holte tief Luft, doch etwas bremste sie, bevor sie fragen konnte. »Was brauchst du?«
Marina wischte sich die Augen und lächelte vor sich hin. »Nichts«, antwortete sie entschieden. »Ich brauche gar nichts.«
Er sah sie verwundert an. »Bist du sicher? Du weißt, dass ich alles für dich tun würde.«
Sie hatte geglaubt, das Polzanze wäre ihr Leben. In diesem freudigen Augenblick jedoch wurde ihr klar, dass Steine und Mörtel nie mehr sein konnten als Steine und Mörtel. Materielle Dinge waren bedeutungslos, wenn man nichts mit ihnen assoziierte. Folglich war das Polzanze auch nichts ohne ihre Sehnsucht.
Sie nahm Dantes Hände und sah ihn an. »Finde unseren Sohn, Dante, wo immer er sein mag.«
Als sie wieder nach drinnen gingen, lag Dantes Hand leicht auf ihrem Rücken. »Dies ist einer der glücklichsten Tage meines Lebens, Floriana.«
»Ich hätte nicht so lange warten sollen.«
»Was hast du jetzt vor?«
»Nach England zurückkehren und meinem Mann alles erzählen.«
»Wird er es verstehen?«
»Oh ja, ganz sicher. Er ist ein guter Mann, und deshalb schulde ich ihm eine Erklärung für mein bisweilen seltsames Verhalten. Er hat eine unglaubliche Geduld mit mir bewiesen.«
»Liebst du ihn, Floriana?«
Sie blickte ihn an, wohlwissend, dass ihre Antwort ihn verletzen würde. Andererseits durfte sie nicht lügen, um seine Gefühle zu schonen. »Ja, das tue ich. Ich liebe meinen Mann sehr.«
»Es freut mich, dass du Liebe gefunden hast, piccolina .« Er überspielte seine Enttäuschung mit einem Lächeln. »Was hältst du davon, wenn ihr über Nacht bleibt?«
»Rafa weiß nicht mal, dass ich Italienisch spreche.«
»Ist das wichtig?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nein, eigentlich nicht mehr.«
»Dann lass uns gemeinsam zu Abend essen, guten Wein
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