Der Zypressengarten
Geburtstagsfeier?«
»Natürlich.«
Er blickte hinab auf ihre Hand. »Du trägst meinen Ring nicht – auch nicht Mammas Armband.«
Wieder kamen ihr die Tränen, als sie zu erklären begann: »Ich habe sie …«
Lächelnd winkte er ab. »Schon gut. Das ist unwichtig. Nichts ist mehr wichtig. Komm, setz dich. Wir haben so vieles zu bereden. Möchtest du Tee oder Kaffee? Ich weiß nicht, was du heute gerne trinkst.« Seine Miene wurde traurig. »Früher wusste ich mal alles über dich.«
»Ich nehme Kaffee und Brot. Auf einmal habe ich ziemlichen Hunger.«
Er rief den Butler. »Bringen Sie bitte Kaffee, Brot und Käse für uns beide.«
Dante und Marina saßen nebeneinander und sahen in den Garten hinunter. Erinnerungen stiegen Schmetterlingen gleich aus dem Gras auf und flatterten in der sanften Brise. »Ich kann noch gar nicht glauben, dass du hier bist«, sagte er verwundert. »Ich wage nicht, meinen Augen zu trauen. Und doch bist du hier, schöner denn je.«
»Ich hätte nie gedacht, dass ich dich wiedersehen würde. Deine Briefe habe ich wieder und wieder gelesen und gehofft, dass du kommst und nach mir suchst. Jahrelang habe ich gewartet.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie diese elende Zeit der Einsamkeit vertreiben. »Was ist mit Gute-Nacht passiert?«
»Er hat um dich getrauert, Floriana, lag mitten auf der Straße und starrte geradeaus.«
Entsetzt hielt sie eine Hand auf ihr Herz. »Er hat um mich getrauert?«
»Ja. Wir trugen ihn irgendwann ins Haus, aber er wollte nicht fressen. Floriana, ich wusste nicht, was mit dir geschehen war. Ich habe überall gesucht, doch keiner wusste irgendwas, außer Elio.«
»Was hat er dir erzählt?«
»Dass du mit einem anderen Mann weggelaufen bist, genau wie deine Mutter.«
»Hast du ihm geglaubt?«
»Selbstverständlich nicht. Jetzt sag mir, wo warst du?«
Der Butler brachte Kaffee in einer Silberkanne und ein Tablett mit selbst gebackenem Brot, Käse und Quitten. Marina wartete, bis er ihnen eingeschenkt hatte und wieder gegangen war, bevor sie Dantes Frage beantwortete. Zum allerersten Mal sprach sie darüber, denn bisher war die Erinnerung an jene Zeit schlicht zu schmerzlich gewesen. Jetzt aber erkannte sie, dass sie über die Jahrzehnte an Macht verloren hatten.
»Am Abend bevor ich dich an der Mauer treffen sollte, kam ein Fremder zu uns nach Hause. Mein Vater sagte mir, dass er von meiner Schwangerschaft wüsste. Er hatte einen braunen Umschlag in der Hand, angeblich ein Geschenk von Beppe Bonfanti.«
»Er hat meinen Vater erpresst?«
»Ich fürchte ja.«
»Also wusste mein Vater Bescheid?« Dantes Blick verlor sich im Garten. »Er hat es die ganze Zeit gewusst.«
»Ich habe keine Ahnung, wie mein Vater es erfahren hatte, denn die einzigen beiden Menschen, denen ich mich anvertraute, waren Pater Ascanio und Signora Bruno, und keiner von ihnen hätte mich verraten.«
»Was ist dann passiert?«
Sie stockte einen Moment, denn Dantes Gesicht schien ganz grau und eingefallen vor Kummer. »Der Mann sagte mir, dass er mich hierher bringen sollte, zu dir, und ich glaubte ihm. Was für eine Wahl hatte ich schon? Er behauptete, dass dein Vater sich um mich … um uns kümmern würde.«
»Wo brachte er dich hin?«
»Wir fuhren hier rauf, und da war Gute-Nacht auf der Straße, wedelte mit dem Schwanz, als er mich sah. Aber dann fuhr der Wagen am Tor vorbei. Zuerst ist der Hund uns hinterhergelaufen.« Ihr Kinn fing an zu zittern. Dante drückte ihre Hand und streichelte sie sanft mit dem Daumen. »Gute-Nacht konnte nicht mithalten. Er rannte und rannte, trotzdem war er bald nur ein kleiner Punkt und verschwand dann ganz. Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah.«
»Und deshalb blieb er auf der Straße. Er dachte, dass du zurückkommst.«
»Ich habe ihn so schrecklich vermisst, Dante. Beinahe mehr als dich.«
Sie trank von ihrem Kaffee, und Dante schnitt ihnen beiden Brot ab. Schweigend aßen sie, während Marina sich an Gute-Nacht erinnerte und Dante an dessen Tod. »Er brachte mich zu dem Kloster, Dante.«
»Santa Maria degli Angeli?«
»Ja, zu dem.«
»Aber dort war ich und habe ans Tor gehämmert. Bei Gott, Tag und Nacht habe ich an dieses Tor geklopft.«
»Wusstest du, dass ich da war?«
»Ich hatte es gehofft. Es war der einzige Ort, an dem ich noch nach dir suchen konnte. Pater Ascanio schwor, dass er deine Aufnahme im Kloster arrangiert hätte, und als Elio sagte, du wärst weggelaufen, betete ich, dass du dorthin gelaufen bist. Du
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