Der Zypressengarten
Minuten und wählte die unpassendste, die sie finden konnte, um sich ein wenig aufzumuntern.
Bis sie beim Coffeeshop ankam, fühlte Clementine sich schon deutlich besser. Mit einem Latte und einem Brötchen machte sie es sich auf einem der Samtsofas gemütlich und las das Neueste über die Einbrüche in der Gazette . So vergingen weitere zwanzig Minuten auf höchst angenehme Weise. Clementine atmete tief durch und blickte sich unter den anderen Gästen um: ein paar Mütter mit Kleinkindern, ein Trio von Geschäftsmännern, die hier eine Besprechung abhielten, Schulmädchen, die den Unterricht schwänzten. Allerdings durfte sie nicht den ganzen Vormittag wegbleiben. Widerwillig leerte sie ihren Becher und stellte sich in die Schlange, um die Bestellungen aus dem Büro zu erledigen. Sie dachte an Joe, und prompt kehrten ihre Ängste zurück, dass ihr aufs Neue schlecht wurde. Im selben Moment schwang die Tür auf und ein Mann in einer Wildlederjacke und Jeans trat herein. Clementine drehte sich um. Doch statt gleich wieder wegzusehen, starrte sie ihn entgeistert an. Er schaute sich im Café um und stellte sich hinter Clementine in die Schlange.
Mit einiger Mühe gelang es ihr, den Blick von ihm zu lösen, wenn auch erst, nachdem er sie angelächelt hatte. Sie fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden, vergaß Joe und ihre Scham und nahm nur noch den Sandelholzgeruchs seines Aftershaves wahr. Genüsslich inhalierte sie den Duft, der sie an ferne Orte denken ließ. Er war offensichtlich kein Engländer. An Engländern saßen Jeans nie so gut, und sie legten gemeinhin keinen Wert auf solche edlen Gürtelschnallen. Sie blickte zu seinen Füßen: braune Wildlederslipper. Solche hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie aus London wegzog. Die Schlange bewegte sich schnell, sodass Clementine bald die Theke erreichte und ihre Bestellung aufgab. Während die Bedienung den Muffin und den Brownie in eine Tüte packte und den Tee und Kaffee holen ging, wich Clementine zur Seite, um dem Fremden Platz zu machen.
»Sind die Kuchen beide für Sie?«, fragte er.
Clementine erschrak. Sie hatte nicht erwartet, dass er sie ansprechen würde. Ihr Herz tanzte wie verrückt in ihrem Brustkorb, doch sie ermahnte sich, cool zu bleiben. »Meinen Sie, ich sollte die lieber nicht essen?«
»Oh nein, ganz im Gegenteil! Für junge Frauen ist es wichtig, gut zu essen«, entgegnete er grinsend.
»Nehmen Sie auch etwas Unanständiges?«
»Wenn Sie es so formulieren, ja, das werde ich wohl besser.«
»Alles andere wäre auch unhöflich. Woher sind Sie?«
»Aus Argentinien.«
»Argentinien? Das Land des Polosports.«
»Sie kennen sich aus.«
Sie lachte und kam sich schrecklich albern vor. »Ich kenne mich weder mit Argentinien noch mit Polo aus. Ich war mal beim Cartier Polo Match und habe gesehen, wie die Argentinier die Briten plattgemacht haben, und ich habe Evita gesehen, aber das war’s auch schon.«
»Kein schlechter Anfang.«
»Sie kommen von weit her.«
»Eigentlich nicht. Die Welt wird beständig kleiner.«
Die Bedienung hinterm Tresen wurde ungeduldig. »Kann ich Ihnen helfen?« Clementine entging nicht, dass sie ebenfalls ein Auge auf ihn geworfen hatte.
»Einen Schokoladen-Brownie und einen Espresso bitte.« Er wandte sich wieder Clementine zu. »Wie Sie sagten, es wäre unhöflich, wenn nicht.«
Sie lachte. »Ja, wäre es. Wenn Sie aus Argentinien sind, müssen Sie zu Devil’s gehen und unsere Scones mit extrafetter Sahne und Marmelade probieren. Die sind astronomisch gut.«
»Das nächste Mal, das wir uns begegnen, gehen Sie mit mir hin.«
»Abgemacht«, sagte sie, inständig hoffend, dass es ein nächstes Mal gab.
Sie bezahlte. Er lud sie nicht ein, ihm Gesellschaft zu leisten. Vielleicht blieb er auch nicht. »Also dann, bis irgendwann, Fremder.«
»Bis dann. Genießen Sie Ihren unanständigen Muffin.«
»Der ist nicht für mich, sondern für meinen Chef.«
»Glücklicher Chef.«
»Und ob. Er hat ihn jedenfalls nicht verdient.« Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehen. Hinter ihnen hatte sich eine längere Schlange gebildet, und die Leute sahen nicht froh aus, dass sie den Tresen blockierten. Clementine warf dem Fremden ein lässiges Lächeln zu – so lässig, wie es ihr möglich war, obwohl sie vor Freude platzen wollte – und ging.
Aufgeregt eilte sie ins Büro zurück, wo sie sich mit ihren Tüten gegen die Tür warf und praktisch hineinflog. »Oh mein Gott!«, rief sie Sylvia zu, die ihre Nagelhäute mit
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