Der Zypressengarten
Öl einrieb.
»Du siehst besser aus. Was hast du gemacht? Hast du ein Geschenk?«
»Einen rosa Pürierstab.«
»Klasse!«
»Ja, finde ich auch. Und ich habe Geschenkpapier und eine Karte besorgt.«
»Lass mal sehen.« Clementine stellte die Tüte auf Sylvias Schreibtisch. »Nein, pack du aus, Süße, meine Nägel sind noch zu empfindlich.«
»Ich bin eben über den umwerfendsten Mann gestolpert, den ich je gesehen habe!«
»Umwerfender als Joe?«, fragte Sylvia geknickt.
»Vergiss Joe. Joe ist nun echt kein Renner.«
»Schade. Er hat dir gerade einen Strauß Rosen geschickt.« Sie nickte zu Clementines Schreibtisch.
Clementine fühlte sich mies, als sie die zehn dicken Rosen in der Klarsichtfolie mit Schleife sah. »Oh Gott!«
»Der kann dir nicht helfen.«
»Aber fragen darf ich ja wohl.«
»Jetzt raus damit. Erzähl mir von ihm.«
»Dieser göttliche Fremde aus Argentinien kam einfach so in den Black Bean Coffee Shop und sprach mich an.«
»Ist das dein Ernst? Bei dem ganzen Make-up, das du dir ins Gesicht gekleistert hast?«
»Ja.«
»Ausländer. Und?«
»Das ist alles.«
»Hast du ihm deine Telefonnummer gegeben?«
»Natürlich nicht.«
»Hat er dir seine gegeben?«
»Nein.«
»Weiß er, wo du arbeitest?«
»Sylvia, er weiß nichts über mich. Wir haben kurz gequatscht, mehr nicht.«
»Was ist das denn für eine lahme Geschichte? Du lässt Joe also abblitzen wegen einem Typen, mit dem du fünf Minuten lang geredet hast und den du nie wiedersiehst?«
»Ich schwebe auf Wolke sieben.«
Sylvia war perplex. »Du bist echt schräg, Clemmie. Welches Sternzeichen bist du?«
»Widder.«
»Mit Wassermann-Aszendent, wette ich.«
»Kann sein. Mein Kater ist jedenfalls kuriert.« Sie strahlte.
»Na, danken wir dem Himmel dafür.«
Clemmie reichte ihr die Karte. Sylvia betrachtete der Schwarz-Weiß-Foto aus den 1950ern von einer Frau mit Schürze, die lächelnd einen Holzlöffel schwang. Die Bildunterschrift lautete: »Kannst du dir vorstellen, wo ich den hinstecken möchte?«
»Findest du die passend?«
»Er erfährt ja nichts, ehe sie die aufmacht.«
»Er wird sie nicht lustig finden.«
»Aber die Mrs.«
Sylvia gab ihr die Karte lachend zurück. »Ja, das glaube ich auch. Jetzt gib mir das Geschenk und das Papier. Sowie meine Nägel trocken sind, pack ich es für dich ein, denn wenn du so Einpacken kannst, wie du dich anziehst, haut Mr Atwood es dir hochkant um die Ohren.«
Den Großteil des Vormittags verbrachte Clementine damit, Dokumente in die nächsten greifbaren Ordner zu stopfen, ohne einen Gedanken an diejenige Person zu verschwenden, die sie später einmal wiederfinden müsste. Derweil träumte sie von dem gut aussehenden Argentinier. Sie fragte sich, was er hier in Dawcomb machte, falls er überhaupt in der Stadt blieb, oder ob er nicht schon im Zug zurück nach London saß, für immer fort. Zwar glaubte sie nicht, dass sie ihn wiedersehen würde, konnte aber dennoch nicht aufhören, sich auszumalen, wie sie mit ihm ins Devil’s zum Cream Tea ging. Wenn sie irgendwann genug Geld verdient hatte, könnte sie vielleicht nach Argentinien reisen statt nach Indien. Sie wünschte sich, er wäre hier, um ein Haus über den Sommer zu mieten, und ärgerte sich die Krätze, dass sie Atwood und Fisher nicht ins Gespräch eingeflochten hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Firmennamen fallen zu lassen, und das Büro war schließlich gleich um die Ecke. Er wäre womöglich nach seinem Kaffee dort vorbeigeschlendert und hätte sie zum Mittagessen eingeladen.
Leider war es nicht der Argentinier, der um halb eins ins Büro geschlendert kam, sondern Joe. Er schlug vor, dass sie auf einen Happen in die Brasserie am Wasser gingen. Clementine gaukelte Entzücken vor, hielt sich bedauernd den Bauch – auch um das Knurren zu stoppen – und bedankte sich für die Blumen. Und die ganze Zeit wagte sie nicht, ihm in die Augen zu sehen, weil sie fürchtete, dass noch mehr Erinnerungen an den Abend zuvor wach würden. Sie beschloss, dass es das Beste war, nichts zu wissen, denn so blieb die Möglichkeit, dass nichts passiert war.
Verglichen mit dem Fremden wirkte Joe wie ein Trampel. Seine Züge waren kräftig und gewöhnlich, und in seiner schlecht geschnittenen Jeans und dem V-Ausschnittpulli konnte er nicht einmal ansatzweise mit jenem Mann mithalten, den sie nie wiedersehen würde. Sie roch noch den Sandelholzduft seiner Haut, sah sein außergewöhnliches Grinsen und die tiefen Augen vor sich.
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