Der Zypressengarten
nein?«
»Nein!« Sylvia grinste. »Normalerweise ist es andersrum, dass er die Weiber abwimmeln muss.«
»Ist ja super.«
»Du klingst nicht besonders froh. Dabei ist er wirklich ein guter Fang.«
»Ja, ist er sicherlich. Ein großer Fisch in einem kleinen Teich.«
»Na und? Immer noch besser als ein kleiner Fisch in einem großen Teich.«
»Meinetwegen, aber ich bin mir trotzdem nicht sicher, was den Fisch betrifft.«
Sylvia zog die Brauen zusammen. »Jetzt komm ich nicht mehr mit.«
»Ich erinnere mich, dass wir bei ihm waren. Und ich erinnere mich, wie du mit Freddie getanzt hast.«
»Freddie ist ganz wild aufs Tanzen.«
»Dann erinnere ich mich an sein Sofa.«
Sylvia lachte kehlig. »Klar tust du das. Auf dem Sofa war ja auch schon eine Menge los.«
»Da fühle ich mich doch gleich viel besser. Danke.«
»Du weißt schon, was ich meine. Er ist ja kein Mönch.« Sylvia hielt ihre Nägel in die Höhe und wedelte sie, um den Lack zu trocknen. »Und du bist kein Engel.«
»Daran will ich jetzt nicht denken.«
»Du bereust es doch nicht, oder? Der Trick im Leben ist der, nichts zu bereuen. Reine Zeitverschwendung. Du hattest doch deinen Spaß.«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Jedenfalls sahst du so aus, als wir gegangen sind.«
Clementines Stimmung verfinsterte sich um einige Nuancen. »Das hatte ich schon befürchtet.«
»Ich bin ja keine Voyeurin, Clemmie. Außerdem hatten Freddie und ich auch noch was vor. Mmm, also der Mann weiß, wie man eine Frau glücklich macht, und das ohne ein Navi zu brauchen.«
Die Tür ging auf, und Mr Atwood kam herein. »Guten Morgen, die Damen«, sagte er munter. Dann sah er Clementine zusammengesunken auf ihrem Stuhl hocken, die Handtasche auf ihren Knien. »Verlassen Sie uns schon wieder, Clementine?«
»Ich wollte Ihnen nur Ihren Magermilch-Latte und einen Muffin holen«, antwortete sie und stand auf.
»Sehr gut. Bringen Sie mir bitte auch die Gazette und den Telegraph mit? Ach, und wenn Sie schon unterwegs sind, meine Frau hat morgen Geburtstag. Besorgen Sie ihr doch bitte eine passende Kleinigkeit.«
»Passend?«
»Eine Duftkerze oder so. Sie sind eine Frau. Sie wissen, was Frauen mögen. Ich habe keine Ahnung und kaufe immer das Falsche.«
»Ich weiß auch nicht, was Ihre Frau mag.«
»Aber ich«, sagte Sylvia, während sie ihr Nagellackfläschchen zuschraubte. »Geh zu Kitchen Delights und kauf ihr irgendwas von da. Das ist ihr Lieblingsladen.«
»Und wenn sie das schon hat, was ich kaufe?«
»Es ist der Gedanke, der zählt«, sagte Mr Atwood. »Der Gedanke reicht, damit sie glücklich ist.«
»Ich werde mir Mühe geben.« Clementine fand die Aussicht, für eine Weile aus dem Büro zu kommen, ziemlich reizvoll.
»Und sei so lieb und bring mir einen Schokoladen-Brownie und einen Tee mit, mit Milch, ohne Zucker«, sagte Sylvia. »Und einen schwarzen Kaffee für Mr Fisher.« Das Telefon klingelte. Vorsichtig, um nicht den frischen Lack zu beschädigen, hob Sylvia den Hörer hoch und meldete sich mit ihrer Singsangstimme: »Atwood und Fisher, Sylvia am Apparat. Sie wünschen bitte?«
Mr Atwood marschierte in sein Büro, ordnete auf dem Weg die Zeitschriften im Wartebereich und schloss die Tür hinter sich. Clementine ging hinaus und blinzelte im grellen Sonnenlicht. Am liebsten wollte sie loslaufen und nicht mehr stehen bleiben, bis sie vergessen hatte, wer sie war.
Als Erstes ging sie zu Kitchen Delights, wo sie absichtlich so viel Zeit wie möglich mit dem Aussuchen eines geeigneten Geschenks verbrachte. Sie stellte sich die arme Mrs Atwood in einer Schürze vor, wie sie sich am Herd für einen Mann abrackerte, der sich nicht einmal bemüßigt fühlte, ihr selbst ein Geburtstagsgeschenk auszusuchen. Was war das denn für ein Ehemann? Clementine konnte sich nicht vorstellen, dass die Frau sich über einen Satz Rührschüsseln freute. Wieso keine hübsche Kette oder eine Handtasche? Mr Atwood hatte keinen Schimmer, und Sylvia offensichtlich auch nicht. Provinzler eben, dachte Clementine verächtlich und sah sich einige Puddingformen an. Nach einer guten Viertelstunde entschied sie sich für einen leuchtend pinken Pürierstab.
Sehr schick, dachte sie zufrieden mit sich. Sie blickte auf das Preisschild und zog unwillkürlich die Schultern ein. Teuer, aber Faulheit hat halt ihren Preis.
Vom Küchenladen aus ging sie zum Black Bean Coffee Shop und besorgte unterwegs die Zeitungen, eine Geburtstagskarte und Geschenkpapier: für die Karte nahm sie sich zehn
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