Der Zypressengarten
sich gelassen ein. »Wäre es nicht nett, ein wenig Zeit mit deinem Vater zu verbringen?«
»Okay, ich soll mir also wieder mal einen Vortrag anhören, und mitten auf dem Wasser kann ich nicht weglaufen.«
»Kein Vortrag, Ehrenwort. Ich habe dich nur in letzter Zeit wenig gesehen.«
»Ja, weil ich arbeite, Dad. Willkommen in der realen Welt.«
Marinas gute Stimmung verflog, als hätte Clementine sie aus dem Raum gesaugt und durch ihre finstere Gegenwart ersetzt. Sie sah zu ihrem Mann und empfand nichts als Verachtung für ihre Stieftochter, die ihn immerzu von sich stieß.
»Dann eben ein andermal«, sagte Grey und bemühte sich merklich, nicht enttäuscht auszusehen.
6
Am nächsten Morgen stolzierte der ansonsten stets gut gelaunte Mr Atwood außergewöhnlich mieser Stimmung ins Büro. Clementine, die sich nach einer Nacht mit ausgiebig Schlaf sehr viel besser fühlte, saß schon an ihrem Schreibtisch und sah sich im Internet Bilder von Buenos Aires an. Sylvia war noch nicht da.
»Wäre meine Frau nicht so begeistert von dem rosa Pürierstab gewesen, würde ich Sie für diese Karte feuern.«
Clementine klickte hastig die Google-Maske weg und guckte ihn betont unschuldig an. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Mr Atwood.«
»Versuchen Sie nicht, mich auf den Arm zu nehmen. Sie wissen sehr wohl, was ich meine. Die Karte war unpassend, um nicht zu sagen, eine Beleidigung.«
»Doch sicher nicht für Ihre Frau.«
»Natürlich nicht, Sie albernes Ding.«
»Ich fand sie witzig.«
»Sie auch – auf meine Kosten.«
»Na, wenigstens hatte sie an ihrem Geburtstag etwas zu lachen.«
Er verengte die Augen. »Sie sind ziemlich keck heute Morgen.«
»Ich hatte Porridge zum Frühstück. Das macht mich schnell mal ein bisschen übermütig.«
»Dann frühstücken Sie morgen lieber Ei. Ich erwarte von meiner Sekretärin, dass sie mir keine Widerworte gibt.«
»Sie hätten die Karte angucken können, als Sie sie unterschrieben haben.«
»Ich bezahle Sie dafür, solche Sachen auszusuchen.«
Sie zuckte mit den Schultern. »War das Abendessen nett?«
»Ja.«
»Schön.«
Er schnaubte verärgert und stapfte in sein Büro. Wieder richtete er die Zeitschriften im Wartebereich, ehe er hinter seiner Tür verschwand. Clementine fragte sich, ob er die Sorte Mann war, die vor dem Sex ihre Kleidung ordentlich zusammenlegte. Vermutlich ja.
Sylvia kam herein und sah auffällig zerzaust aus.
»Bist du gerade rückwärts aus dem Bett gekrabbelt?«, fragte Clementine.
»Ungefähr«, antwortete sie mit einem vielsagenden Grinsen. »Freddie ist zum Frühstück vorbeigekommen, deshalb bin ich spät dran.«
»Das ist die beste Ausrede, die ich jemals gehört habe.« Clementine klickte die Buenos-Aires-Bilder wieder an. »Ich glaube, ich fahre als Nächstes nach Südamerika statt nach Indien.«
»Spukt dir etwa immer noch dieser Argentinier im Kopf rum?«
»Träumen kostet nix.«
»Und umsonst ist nicht automatisch gut.« Sylvia lief zum Klo, um sich herzurichten. Als sie wieder herauskam, war ihr Haar ordentlich gekämmt und wie üblich aufgesteckt, ihr Make-up makellos und ihr geblümtes Kleid ohne die kleinste Knautschfalte. Clementine staunte, wie man all das in einer Winztoilette bewerkstelligte.
»Ich treffe heute Abend ein paar Freunde zum Dinner. Hast du Lust, zu uns zu stoßen?«, fragte Sylvia.
»Klar, gerne.«
»Wie wär’s, wenn du Joe mitbringst?«
Clementine knickte ein wenig in sich zusammen. »Na ja, ich habe ihm sowieso irgendwie den Eindruck vermittelt, dass wir uns heute sehen, also ja, ich bringe ihn wohl lieber mit.«
»Gib ihm eine Chance. Ich kapier nicht, was du eigentlich willst. Obwohl, im Grunde schon – Herzflattern, Schmetterlinge im Bauch und so, nehme ich an. Aber so läuft es im richtigen Leben nicht. Entscheidend ist, bringt er dich zum Lachen und ist er ein guter Liebhaber? Alles darüber hinaus ist ein Bonus oder kommt nur in Schmachtromanen vor. Falls du auf die Sorte wartest, wirst du alleine alt.«
»Welch erheiternde Weisheit am Morgen!«
»Bedaure, Süße, aber ich verabreiche dir lediglich eine gesunde Dosis Realismus.«
»In letzter Zeit wird mir der Realismus ein bisschen viel. Ich fahre nach Buenos Aires und träume mich durch die Tage.«
»Argentinier sollen die Schlimmsten sein.«
»Woher willst du das wissen?«
»Jeder weiß es. Die sind berüchtigt für ihren unwiderstehlichen Charme und ihre zwanghafte Untreue.«
»Du denkst an Polospieler, aber nur zu, wenn du an
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