Der Zypressengarten
dem Ärmel rutschte. »Ist die nicht schick?«
»Sehr groß.«
»Ja, deshalb mag ich sie.«
»Und sie sieht sehr teuer aus.«
»Ist eine Omega.«
»Klingt ausgefallen.«
Er wurde von einem feuchten Fleck abgelenkt, den er in der Zimmerecke entdeckte. »Sieht aus, als wenn da ein Leck ist«, sagte er stirnrunzelnd.
»Ein Leck?«
»Könnte eine verstopfte Regenrinne sein; nichts, was ich nicht wieder hinkriege.«
Sie lächelte ihm zu. »Du hast für alles immer das Richtige in deinem Schuppen. Der ist besser ausgestattet als ein Baumarkt.«
»Ja, ich werfe ja auch nie was weg. Ich habe noch ein Radio aus den Fünfzigern und den ersten Schwarz-Weiß-Fernseher, den ich mir in den Sechzigern gekauft habe.«
»Nebst einem anständigen Vorrat an Gewebeband und Erntegarn«, ergänzte Marina lachend, denn es war ein Standardwitz, dass das Polzanze nur von Gewebeklebeband und Erntegarn zusammengehalten wurde.
»Und, wo soll Mr Santoro jetzt wohnen?«, fragte er und stemmte sich wieder gegen seinen Schraubenzieher.
»Paul hatte im letzten Jahr das blaue Zimmer, aber das ist ein bisschen runtergewohnt und müsste renoviert werden. Die Suite hat noch die Originaltapete, die so hübsch ist, und ein kleines Wohnzimmer, in dem er malen kann. Die Aussicht aufs Meer ist herrlich, und wenn der Wind übers Dach weht, hört man es pfeifen. Dort oben herrscht eine ganz besondere Energie.«
»Weil William ein sehr fröhlicher Junge war. Er und seine Brüder haben früher immer oben gespielt. Es war die Kinderetage.«
Marina trank ihren Kaffee aus und malte sich für einen flüchtigen Moment aus, wie ihre eigenen Kinder dort gespielt hätten, wäre sie mit welchen gesegnet gewesen. »Er kommt aus Argentinien, und ich möchte, dass er England von seiner besten Seite sieht.«
»Tja, die sieht er hier allemal, keine Frage.« Harvey ruckelte an der Vorhangstange, um sich zu vergewissern, dass sie fest saß.
»Ich halte ihn für perfekt, du nicht? Meine alten Damen werden gar nicht wissen, wie ihnen geschieht, wenn sie für ihre Woche herkommen. Ich hoffe nur, es spricht sich schnell herum und bringt uns mehr Buchungen.«
»Das wird es«, versicherte Harvey ihr. »Das Leben hat seine Hochs und Tiefs, aber eines kann ich dir sagen, nach einem Tief geht es immer wieder nach oben.«
Marina senkte den Blick zu ihrer leeren Tasse. »Bin ich blöd, all meine Hoffnung auf Rafa Santoro zu setzen? Ich weiß nichts über ihn. Er könnte ein Axtmörder sein.«
»Du musst deinem Gefühl vertrauen. Ich spüre, dass er ein guter Mensch ist.«
»Ach ja?« Sie sah zu ihm auf.
»Ja, auch wenn ich natürlich nicht versprechen kann, dass er das Hotel wieder auf die Füße bringt.«
»Bisher sind wir nur in die Knie gezwungen, Harvey.«
Harvey ließ die Gardinenstange los und guckte zu ihr hinunter. »Weiß ich.«
»Ich rede ungern darüber. Irgendwie hoffe ich, solange ich nicht darüber spreche, passiert es auch nicht.«
»Es ist ruhig, stimmt, aber das ist bloß vorübergehend.«
»Ich hoffe sehr, Harvey. Wir brauchen Geld, und zwar schnell.«
Er stieg von der Leiter und blieb unten stehen, den Schraubenzieher lose in seiner Hand haltend. »Jetzt hör mir mal zu, Marina. Du musst weitermachen. Es ist wie ein Gang über ein Drahtseil: Sieh nach vorne, oder du verlierst das Gleichgewicht. Es wird schon wieder. Wir kriegen mehr Gäste. Diese Rezession überstehen wir genauso wie andere, und sie geht vorbei wie ein übles Gewitter.«
»Erkennst du denn einen Lichtstreif am Horizont?«
»Und ob, jedenfalls mit meinem geistigen Auge.«
»Ich mag deine Art zu denken, Harvey. Am liebsten würde ich mich in deine Gewissheit einkuscheln, bis es vorbei ist.«
Er lächelte. »Ich denke, Williams Etage ist ideal für Mr Santoro. Was hältst du davon, wenn ich dem blauen Zimmer einen neuen Anstrich gönne?«
»Gute Idee.«
»Wollen wir gleich mal hingehen und es uns ansehen?«
»Ja.« Sie sprang sofort auf.
»Und sehen wir uns auch gleich Williams Stockwerk an, ob noch irgendwas zu machen ist.«
»Ja, das machen wir.« Sie klang schon munterer. »Das Leck kannst du später reparieren.«
Als Marina und Harvey an der Rezeption vorbeikamen, unterbrach Jennifer ihr Telefonat und grinste die beiden schuldbewusst an. Harvey bedachte sie mit einem strengen Blick, weil sie eindeutig mal wieder privat telefonierte.
»Ich muss Schluss machen, Cowboy«, zischte Jennifer, kaum dass die beiden weg waren. »Ich darf nicht während der Arbeitszeit mit
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