Der Zypressengarten
Klischees glaubst.«
»Sie geben gute Liebhaber ab, aber schlechte Ehemänner.«
»Ich habe nicht vor, einen Argentinier zu heiraten. Ich will gar nicht heiraten, nie.«
Sylvia war perplex. »Wieso nicht?«
»Ich komme aus einer kaputten Familie. Das würde ich einem Kind nie antun.«
»Wie bescheuert. Nur weil es bei deinen Eltern nicht funktioniert hat, muss es doch nicht bei dir genauso laufen.«
»Das will ich gar nicht erst ausprobieren.«
»Ich bin geschieden, und trotzdem würde ich es noch mal versuchen. Ich würde Freddie heiraten, sollte er je seine Frau verlassen. Aber das machen sie selten.«
»Mein Vater hat meine Mutter verlassen«, sagte Clementine verbittert. »Ich will nie der Keil sein, der eine Familie auseinandertreibt wie Submarine.«
»Vielleicht war ihre Liebe so stark …«
»Hast du nicht eben noch gesagt, dass es so eine Liebe bloß in Romanen gibt?«
»Und für wenige besonders Glückliche.«
»Ah, dann glaubst du doch an die Liebe?«
»Ja, natürlich. Aber ich glaube nicht, dass sie jedem von uns vergönnt ist. Das ist alles. Du verliebst dich womöglich in Joe, wenn du ihm eine Chance gibst.«
»Liebst du Freddie?«
»Ich liebe die Art, wie er mich anfasst, mich küsst, mich zum Lachen bringt. Ich liebe es, wer ich bin, wenn ich mit ihm zusammen bin. Aber liebe ich ihn? In dem Sinne, dass ich ohne ihn nicht leben kann? Es wäre schade, klar, aber mir würde nicht gleich das Herz brechen.«
»Willst du nicht mehr?«
»Doch, selbstverständlich. Jedes kleine Mädchen will seinen Prinzen finden. Aber was bringt es, sich etwas zu wünschen, was man nicht haben kann. Ich bin realistisch genug zu wissen, dass ich nicht zu den wenigen Glücklichen gehöre.« Sylvia griff nach ihrer Handtasche. »Ich gehe mal eine rauchen. Passt du auf mein Telefon auf?«
Clementine sah ihr nach. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie zu den Glücklichen gehörte. Trotzdem hoffte sie tief im Innern, dass die Liebe ihr mehr bieten konnte als Joe.
»Ich dachte, dass wir Rafa in der Suite oben unterbringen«, sagte Marina, die an ihrem Schreibtisch saß und nachdenklich an ihrem Espresso nippte. »Die ist seit Monaten nicht gebucht worden, und es ist eine Schande, so schöne Zimmer ungenutzt zu lassen.«
Harvey stand in seinem blauen Overall und mit Schirmmütze auf dem Kopf auf der Leiter und schraubte die Gardinenstange fest, die sich an einem Ende gelockert hatte. »Das hübscheste Schlafzimmer im ganzen Haus«, sagte er und unterbrach sein Schrauben. »War früher mal das Zimmer vom jungen William.«
Harvey erinnerte sich immer wieder gerne an die Kinder des Dukes of Somerland: drei ungestüme Jungen mit großen blauen Augen und einem Lächeln, hinter dem sich jede Menge Schalk verbarg. Harvey war selbst noch ein Junge gewesen, als er eingestellt wurde, um dem Verwalter Mr Phelps beim Holzhacken und Laubharken zu helfen. Bis heute wurde er ganz nostalgisch, wenn Mr Potter im Herbst Laub verbrannte. Es versetzte ihn zurück in eine Zeit der Unschuld, als die Dinge weniger kompliziert waren.
Ted und Daniel erledigten dieser Tage die schweren Arbeiten, für die Mr Potter zu alt war. Immerhin war der noch älter als Harvey, und er war schon steinalt. Deshalb überließ Mr Potter seinen Söhnen das Umgraben, Pflanzen und Heckenschneiden. Harvey vermutete, dass Marina ihn nur aus Mitleid behielt, weil sie wusste, wie viel ihm das Anwesen bedeutete, und verstand, dass man sein Alter so lange wie möglich leugnen wollte. Schickte man Mr Potter in den Ruhestand, wäre es für ihn dasselbe, als steckte man ihn in einen Sarg und verbuddelte ihn.
Heute sahen die Gärten genauso hübsch aus wie zu Zeiten des Dukes, sogar noch besser, denn Marina hatte eine völlig klare Vorstellung, was sie wollte, und sorgte dafür, dass es auch so gemacht wurde. Er blickte liebevoll zu ihr hinüber. Sie war immer adrett gekleidet, mit weißer Bluse und Stoffhose oder hübschen Kleidern im Sommer, nie in Jeans. Und da sie klein war, trug sie stets Schuhe mit Absatz. Harvey empfand eine väterliche Zuneigung zu ihr, die er sehr genoss, hatte er doch nie geheiratet und keine eigenen Kinder. Das Komische war, dass sie richtig aufblühte, wenn er sie lobte, und das fühlte sich gut an. Diese wunderbare Frau, der die Welt zu Füßen zu liegen schien, brauchte ihn.
»Ist das eine neue Uhr, Harvey?«, fragte Marina, der das silberne Blinken an seinem Handgelenk auffiel.
Er schüttelte seinen Arm, sodass sie weiter aus
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