Der Zypressengarten
dir reden, sonst werde ich noch gefeuert.«
Die Stimme am anderen Ende lachte amüsiert. »Die sollen sich trauen, dir dumm zu kommen, dann kriegt es ihre Tochter von mir auf den Schädel. Die ist sowieso schon nichts als eine Last.«
»Ach, Nigel, das ist nicht fair.«
»Als Sekretärin ist sie eine Niete, und dazu noch verlottert. Sylvia ist wenigstens gut angezogen und gepflegt.«
»Clemmie ist jung.«
»Bist du auch, Jen, und du achtest auf dein Äußeres.«
»Weil ich nie weiß, wann du hier wie John Wayne reinspaziert kommst, deine Waffe in der Hand.«
»Ich hätte gerne deine Hand an meiner Waffe.«
»Ist sie geladen?«, kicherte sie.
»Die ist immer geladen und bereit, bei der kleinsten Berührung loszugehen.«
»Oh, du verdorbener Junge. Zurück auf dein Pferd!«
»Kann ich dich heute Abend sehen?«
»Ja.«
»Dann rufe ich auch nicht wieder an.«
»Schreib mir eine SMS. Ich mag sexy Nachrichten.«
»Machen die dich scharf?«, flüsterte er.
»Ja«, hauchte sie.
»Wie heiß?«
»Richtig.«
»Und feucht?«
»Schämen Sie sich, Mr Atwood!«
»Du liebst das.«
»Bis später.«
»Selbe Zeit, selber Ort. Ich gehe meine Waffe polieren.«
»Immer mit der Ruhe, Cowboy. Polier sie nicht zu doll.«
»Keine Bange, mein Schnuckelchen. Ich lass dir das Beste nach.«
Grey war in der Bibliothek und las die Times , als Jake zu ihm kam. Wenn er entspannt war, sah er alt und müde aus, und Traurigkeit schwebte über ihm gleich einer dunklen Wolke. Die hob sich, sobald er seinen Sohn bemerkte.
»Ah, Jake«, sagte er und legte seine Zeitung zur Seite.
»Dad, ich habe überlegt, wie man das Geschäft beleben könnte.«
»Aha?«
Jake setzte sich in den großen Ledersessel gegenüber von Grey. »Wir sollten Events veranstalten, Leute herbringen, die gemeinsame Interessen verbinden.«
»An was hattest du gedacht?«
»An literarische Dinner oder so was in der Richtung. Eine Art Club. Die Leute zahlen, um zu Lesungen herzukommen. Hier ist es so ruhig, dass es viele abschreckt. Wir müssen irgendwie für Leben sorgen.«
»Ja, da hast du sicher recht.«
»Ich weiß, dass Submarine ihren Hauskünstler hat.« Er grinste schelmisch. »Eine Woche, wette ich, und er verführt jede Frau in Dawcomb. Das wird ihr eine Lehre sein!«
»Sei nicht so gehässig, Jake. Sie macht gerade eine schwere Zeit durch. Hab ein bisschen Mitgefühl.«
»Entschuldige, aber er ist so offensichtlich ein Playboy.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Playboy den ganzen Sommer hier sein will.«
»Okay, also kein Playboy, aber ein Weiberheld.«
»Deine Idee finde ich gut«, sagte sein Vater. »Ich schlage vor, dass wir mit einer Lesung anfangen. Überlegen wir, welchen Autor wir einladen könnten, und ich wende mich an den Verleger.« Grey war wirklich angetan von der Idee, denn er liebte Bücher, und es gab viele Autoren, die er gerne kennenlernen würde. »Prima, Jake. Das ist ein genialer Einfall.«
»Ich will nur helfen, Dad.«
»Danke, das weiß ich zu schätzen.« Er sah seinem Sohn nach, als der die Bibliothek verließ, und empfand eine tiefe Dankbarkeit. Könnte doch seine Tochter sich ein Beispiel an ihrem Bruder nehmen und zur Abwechslung mal an jemand anderen als sich selbst denken.
Clementine fühlte sich schlecht behandelt und benachteiligt, dabei gab es so vieles, für das sie dankbar sein sollte. Grey sah allerdings auch ein, dass es sein Fehler war, denn er hatte sie viel zu sehr verwöhnt. Könnte sie bloß einmal über den eigenen Tellerrand schauen, würde sie die Menschen, die sie liebten, vielleicht ein bisschen besser verstehen. Die Dinge waren nicht immer so, wie sie sich oberflächlich darstellten. Er hatte ihre Mutter nicht verlassen, um mit einer Verführerin durchzubrennen, wie Clementine glaubte. Vielmehr hatte er die Hand ergriffen, die sich ihm in seiner tiefen Verzweiflung entgegenstreckte. Sein Unglück war so groß gewesen, dass er beschloss, fortzugehen. Das bedeutete, dass er seine kleinen Kinder zurückließ, doch was hätte er ihnen damals genützt, eingeschüchtert und gebrochen, wie er war? Marina hatte ihn gerettet und ihm neues Leben eingehaucht. Natürlich würde Clementine das nie erfahren, es sei denn, sie fragte ihn nach seiner Version der Geschichte. Dazu würde es wahrscheinlich nicht kommen, und dennoch konnte er bis dahin nichts tun, als ihr seine Hand zu reichen und geduldig abzuwarten, bis seine Tochter sie ergriff.
An jenem Abend saß Clementine mit Joe, Sylvia,
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