Der Zypressengarten
fliegen, dann würde sie ein Nest in einer der Pinien von La Magdalena bauen und es für immer zu ihrem Zuhause machen.
Was für einen Tag sie erlebt hatte. Sie konnte es nicht erwarten, Costanza alles zu erzählen. Es war egal, dass ihre Mutter mit ihrem kleinen Bruder fortgegangen und sie bei ihrem hoffnungslosen Vater Elio zurückgelassen hatte. Es war egal, dass er meistens betrunken war und sie auf ihn aufpassen musste, als wäre sie die Erwachsene und er das Kind. Es war egal, dass sie arm war, denn heute waren ihr Reichtümer geschenkt worden, die ihre kühnsten Träume übertrafen. Sie hatte einen Zipfel vom Paradies gesehen, und jetzt wusste sie, ganz gleich, wie unsicher ihr Leben sein mochte, eines stand fest: Sie würde Dante heiraten und in La Magdalena wohnen.
Sie hüpfte den ganzen Weg nach oben zwischen den Wiesen hindurch und freute sich an dem leuchtend roten Klatschmohn, der weich ausschwang, um sie vorbeizulassen. Das Meer war ruhig und so blau wie der Himmel über ihm. Kleine Grillen zirpten fröhlich, unsichtbar im hohen Gras, und Floriana lächelte, weil ihr das Herz überging vor Glück. Schließlich erreichte sie das etruskische Dorf Herba, in dem sie mit ihrem Vater lebte. Vertraute Geräusche klangen durch die Hitze: Das Bellen eines Hundes, die hohen Kreischlaute spielender Kinder, die Stakkato-Rufe einer Mutter, die mit ihrem Kind schimpfte. Es roch nach uralten Mauern und gebratenen Zwiebeln.
Bald lief sie über die Pflastersteine, vorbei an gelben Häusern mit dunkelgrünen Läden, breiten Torbögen und roten Ziegeldächern auf die Ortsmitte zu. Witwen in schwarzen Kleidern saßen wie fette Krähen in Hauseingängen, tratschten oder hielten ihre Rosenkränze, die Augen geschlossen und unverständliche Gebete murmelnd. Knochige Hunde trotteten durch die Mauerschatten, blieben hie und da stehen, um etwas Interessantes zu beschnüffeln, und lungerten vor der Metzgerei herum in der Hoffnung, einen Bissen zugeworfen zu bekommen.
Floriana bog in die schmale Gasse, die steil den Hügel hinaufführte, und eilte unter den Reihen voller Wäscheleinen hindurch. Eine Frau lehnte sich aus dem Fenster, um ihren tropfnassen Unterrock aufzuhängen, und rief nach Floriana, doch die war zu beschäftigt, um zu winken, und lief weiter, bis sie die Piazza Laconda erreichte, die sich einer riesigen Sonnenblume gleich im Herzen des Dorfes öffnete. Dort, mitten auf dem Platz, stand ein Gotteshaus, das schönste Gebäude von allen, die Chiesa di Santo Spirito.
Inzwischen war Floriana aus der Puste und verlangsamte ihre Schritte auf ein hastiges Gehen. Die Sonne flutete den Platz mit leuchtend goldenem Licht, und Taubenschwärme pickten zwischen den Pflastersteinen nach Krumen oder wuschen sich ihr staubiges Gefieder im Springbrunnen. Ein Restaurant hatte Tische draußen stehen und würzte die Luft mit dem Duft von Olivenöl und Basilikum. Touristen saßen an den kleinen Tischen unter gestreiften Sonnenschirmen, rauchten und tranken Kaffee, während die einheimischen alten Käuze in Westen und mit Schirmmützen auf den Köpfen Briscola spielten.
Floriana blieb nicht stehen, um mit irgendjemandem zu plaudern, obgleich sie wegen ihrer berüchtigten Mutter jeder kannte und sie mit derselben Freundlichkeit behandelte wie einen streunenden Hund. Sie ging direkt zur Kirche, um mit dem einzigen Vater zu sprechen, der sie bedingungslos liebte und immer für sie da war, was auch geschah. Sie musste ihm für ihr Glück danken, denn sie fürchtete, dass es ihr sonst genauso wieder weggenommen werden könnte wie ihre Mutter.
Leise schritt sie über den blanken Steinfußboden und inhalierte den schweren Geruch von Weihrauch, gemischt mit dem klebrigen Aroma von schmelzendem Kerzenwachs. Einige Leute knieten betend im Dämmerschatten der Kirchenbänke. Touristen wanderten in T-Shirts umher und unterhielten sich flüsternd über die schönen Fresken und Bilder. Blattgold schimmerte im Kerzenlicht und verlieh den Heiligenscheinen um die Köpfe der Jungfrau Maria, Christus und der Heiligen einen überirdischen Glanz. Floriana fühlte sich hier zu Hause, denn sie kam schon in die Kirche, solange sie denken konnte. Ihre Mutter war sehr religiös gewesen, bis sie sündigte und sich aus Scham von Gott abwandte. Begriff sie denn nicht, dass Jesus die Sünder mit offenen Armen empfing? Floriana sündigte immerzu, zum Beispiel wenn sie heimlich über die Mauer von La Magdalena sah, und sie war stolz und eitel, aber sie wusste,
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