Der Zypressengarten
Aschenputtel einen Prinzen, und sie war nur eine Küchenmagd. Floriana liebte La Magdalena mehr als alles andere. Dort gehörte sie hin, in den kleinen Meerjungfrauengarten, auf die Bank am Springbrunnen, wo sie ein Buch las. Es machte auch nichts, dass sie nicht besonders gut lesen konnte, denn das würde sie lernen. Sie war intelligent. Sie könnte alles lernen.
Sie lief die Straßen entlang zu dem großen Torbogen in der gelben Mauer, der früher einmal Zuhause bedeutet hatte. Seit ihre Mutter fort war, war er nur noch die Tür zu dem Haus, in dem sie wohnte. Sie gab ihr einen festen Ruck. Die schwere große Tür führte in einen Innenhof mit Kopfsteinpflaster. Zwischen den Steinen wuchs Unkraut und blühte, bis Signora Bruno es grob zurückschnitt. Signora Brunos verstorbener Ehemann hatte ihr das baufällige Haus mit den kleinen Mietwohnungen hinterlassen. Hübsche Eisenbalkone lagen zum Innenhof und verschönerten ihn hie und da mit Blumentöpfen oder, weit häufiger, mit Wäscheleinen, an denen Kleidung in der Sonne trocknete.
Signora Bruno unterbrach ihr Fegen, als sie das kleine Mädchen kommen sah, und lehnte sich auf ihren Besenstiel. Sie nutzte jede Gelegenheit, ihre Arbeit zu unterbrechen. »Dein Vater ist bei Luigi. Kippt sich bestimmt wieder einen hinter die Binde.« Sie beobachtete Floriana misstrauisch, als das Mädchen hinüber zur Treppe hüpfte und sich auf die Stufen hockte. »Was heckst du aus? Du guckst wie eine Maus, die den ganzen Käse gefressen hat.«
»Ich bin verliebt, Signora Bruno.«
Die Frau blickte in die verträumten Augen des Kinds und lachte, wobei sich das Muttermal an ihrer Wange weit vorwölbte. »Wer setzt dir nur solche Flausen in den Kopf? Ein Kind in deinem Alter, und an so was denken. Liebe!« Sie schnalzte mit der Zunge. »Man liebt, wenn man jung ist und töricht. Bis einem das Herz gebrochen wird und man einsieht, dass man ohne die Liebe besser dran ist.«
»Das ist aber traurig, Signora Bruno.« Floriana sah wirklich mitfühlend aus.
»Wer ist denn der Glückliche?«
»Er heißt Dante Bonfanti.«
Signora Bruno staunte nicht schlecht. »Dante Bonfanti? Wo hast du den kennengelernt?«
»Ich habe vom Tor aus sein Haus angeguckt, und da hat mich eingeladen reinzukommen. Die Villa La Magdalena ist der schönste Palast auf der ganzen Welt.«
»An deiner Stelle würde ich mich von denen fernhalten«, sagte Signora Bruno finster. »Die sind keine gute Menschen.«
»Dante wohl«, widersprach Floriana.
»Mag ja sein, aber sein Vater ist ein sehr gefährlicher Mann. Bleib weg von denen. Halt dich lieber hier unten auf, wo du hingehörst.«
»Aber ich liebe ihn!«
Die alte Frau lächelte milde. »Du bist zu jung für die Liebe, und das soll nicht heißen, dass du keine verdient hast. Von allen Kindern in Herba verdient keines mehr, geliebt zu werden, als du.«
Floriana sah auf Signora Brunos dicke Knöchel und die hautfarbenen Strümpfe, die Ringe in ihre Waden drückten, und fragte sich, was mit Signor Bruno war. »Wo ist Ihr Mann?«
»Tot.«
»Das tut mir leid.«
»Mir nicht. Er hat nichts als Arbeit gemacht.«
»Wie mein Vater.«
Signora Bruno gackerte wie eine Henne. »Dein Vater.« Sie schüttelte den Kopf. »Der ist eine Last für dich, und das ist nicht richtig. Er muss eigentlich für dich sorgen.«
»Glauben Sie, dass er bald stirbt?«
Signora Brunos Gesicht wurde grau vor Mitleid. »Nein, Cara, er stirbt nicht so bald.«
»Schade«, sagte Floriana achselzuckend.
»Du willst doch nicht, dass er stirbt, oder?«
Signora Bruno wirkte entsetzt und ein bisschen verwirrt. Sie stellte ihren Besen zur Seite und quetschte ihren weichen Leib zwischen das Kind und das Treppengeländer. »Ich weiß, dass er nicht die Art Vater ist, die du dir wünschst. Er war schon zweimal im Gefängnis und trinkt zu viel. Kein Wunder, dass deine Mutter ihn verlassen hat. Aber dich? Ich weiß nicht, wieso sie dich, ein schutzloses kleines Ding, hiergelassen und deinen kleinen Bruder mitgenommen hat. Ich schätze, er war zu klein, als dass sie ihn bei einem Vater lassen wollte, der sich nicht um ihn kümmern kann.« Sie legte einen Arm um Floriana, die zusammenzuckte. »Sie hätte dich auch mitnehmen sollen. Aber sie hat immer nur an sich selbst gedacht und wohl geglaubt, dass Zita dich nimmt. Dabei taugt ihre Schwester genauso wenig wie sie. Wo ist Zita, wenn du sie brauchst, hä? Die kann ja nicht mal auf ihre eigenen Kinder aufpassen. Ein Kind ist ein Geschenk Gottes, das
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