Der Zypressengarten
die anderen gewarnt, sie sollten wieder an ihre Arbeit gehen. Tom kam mit dem Gepäck herein, gefolgt von Rafa. Er trug auch heute seine Wildlederjacke, eine Jeans und den Gürtel mit der blinkenden Silberschnalle. Marina begrüßte ihn herzlich, und er sah sie mit seinen braunen Augen an, als wäre sie eine alte Freundin. Aus dem Augenwinkel konnte sie Jennifer und Rose sehen, die ihre Hälse reckten wie neugierige Gänse. Aber weder Marinas Lächeln schwand, noch schweifte ihr Blick von Rafa ab. Von ihm ging ein Leuchten aus, das den ganzen Raum zu erhellen schien und Marinas Ängste zu überflüssigen Staubpartikeln zerstreute. Es war lange her, seit sie atmen konnte, ohne eine Spannung in ihrer Brust zu spüren. Sie konnte es gar nicht erwarten, dass Clementine ihn kennenlernte. Wie sie ihre Stieftochter kannte, würde die sehr zufrieden mit ihrer Wahl sein, und dieser Gedanke intensivierte ihr Lächeln.
»Lassen Sie mich Ihnen Jake vorstellen, unseren Manager, und Grey, meinen Ehemann.«
»Vater und Sohn?«
»Ja«, antwortete Grey.
»Sie sehen einander sehr ähnlich.«
»Ich bin nicht sicher, ob das ein Kompliment ist«, sagte Jake grinsend.
Sein Vater verdrehte die Augen. »Keinen Respekt mehr, die Jugend von heute! Willkommen.« Er reichte Rafa die Hand.
Rafas Handschlag war fest und selbstbewusst. »Es ist bezaubernd hier«, sagte er erfeut. »Ich hatte vergessen, wie wunderschön das Haus ist.«
Marina strahlte vor Stolz. »Freut mich sehr, dass es Ihnen gefällt.«
»Ich werde es natürlich malen wollen.«
»Und wir hängen das Bild an einen Platz, wo es jeder sehen kann«, versprach Grey.
»Ich ahne schon, dass wir eine komplette Galerie bekommen«, ergänzte Jake mit einem Hauch von Sarkasmus.
»Das wäre sehr schön«, sagte Marina rasch. »Möchten Sie einen Kaffee, oder wollen Sie erst Ihr Zimmer sehen?«
»Das Zimmer wäre mir sehr recht«, antwortete Rafa. »Wie überhaupt jeder Vorwand, mehr von diesem fantastischen Haus zu besichtigen.«
Er lächelte, und Marina konnte nicht umhin, sein Lächeln mit kindischer Begeisterung zu erwidern. Ihr fiel auf, wie sich seine Mundwinkel nach oben bogen, sodass sich Lachfalten in seine Wangen gruben. Es war erstaunlich, dass Clementine noch gar nicht erschienen war.
»Dann kommen Sie bitte mit.«
Sie gingen an der Rezeption vorbei, wo Rose und Jennifer wie gebannt standen, die Münder in einem idiotischen Grinsen eingefroren. Rafa brach den Zauber, indem er ihnen die Hand schüttelte und sich vorstellte. Die beiden waren perplex ob seiner Gelassenheit und seiner guten Manieren – die meisten Leute redeten nur mit ihnen, wenn sie etwas wollten.
»Er ist umwerfend«, seufzte Rose, als er mit Marina, Grey und Jake nach oben verschwunden war.
»Solche Männer findest du in unserem Land nicht«, sagte Jennifer. »Ich kenne keinen einzigen Engländer mit diesem lässigen Charme.«
»Und der Akzent! Den würde ich gerne mal auf meinem Kopfkissen hören.«
»Oh Gottogott, ja, ich auch.«
Ihre Träume wurden vom lauten Telefonklingeln unterbrochen. Jennifer nahm schnell ab, und als sie eine vertraute Stimme hörte, guckte sie ein bisschen verärgert. »Oh, hallo, Cowboy. Du weißt doch, dass du mich nicht bei der Arbeit anrufen sollst …«
Marina führte Rafa in das oberste Stockwerk, wo ein Bad, ein Schlaf- und ein Wohnzimmer eine gemütliche Suite bildeten. »Ist das alles für mich?«, fragte er staunend.
»Nun, Sie werden den ganzen Sommer hier sein und brauchen Platz zum Malen.«
»Qué bárbaro!« Er ging ins Schlafzimmer, wo Tom den Koffer auf das Koffergestell und die Tasche daneben auf den Boden gestellt hatte. Im Zimmer stand ein sehr breites Doppelbett mit dunklem Holzrahmen und eleganten Lampen auf den Nachttischen, auf denen außerdem Bücher ordentlich aufgestapelt waren.
»Grey sucht den Lesestoff aus«, sagte Marina, als sie bemerkte, dass er die Buchrücken ansah.
»Edith Wharton, Nancy Mitford, P.G. Wodehouse, Jan Austen, Dumas, Maupassant, Antonia Fraser, William Shawcross.«
»Meinen Sie, dass Sie noch Zeit zum Malen haben werden?«, fragte Grey mit einem stolzen Lächeln.
Rafa rieb sich das Kinn. »Weiß ich nicht genau. Eventuell gehe ich gar nicht aus dem Zimmer.«
»Wie gut, dass Sie den ganzen Sommer haben.«
»Ich denke, es wird mir hier gefallen«, sagte er und grinste Marina zu. »Sie haben einen sehr guten Geschmack, Señora .«
»Danke. Die Einrichtung hat mir viel Spaß gemacht. Es war nicht einfach, das
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