Der Zypressengarten
hereinhelfen konnten, oder bereits vorhandene, die Fragen hatten wie etwa, wo die Gummistiefelkammer war oder irgendein anderer Teil des Hotels. Das Haus war ziemlich verwinkelt, weshalb die Gäste immer mal wieder die Orientierung verloren.
Marina wies Tom an, Heather Bescheid zu geben, dass sie ihnen allen Kaffee brachte. Auf dem Weg durch den Salon begrüßten sie ein amerikanisches Paar, das übers Wochenende hier war und vor einem nicht mehr benutzten Kamin auf einem Sofa saß und Earl Grey trank. Grey blieb ein wenig, um ihre Fragen zur Geschichte des Hauses zu beantworten, während Jake und seine Stiefmutter voraus auf die Terrasse gingen.
Es war ein ungewöhnlich klarer Tag, nicht der kleinste Wolkenfitzel am Himmel, und die See war ruhig und fast so blau wie das Mittelmeer. Marina setzte sich und blickte für einen Moment gedankenversunken aufs Wasser. Ihre Gedanken trieben ziellos auf den sanften Wellen. Jake sprach kurz mit den Kellnern über das heutige Geschäft, und Marina hatte Zeit, über ihre Lage nachzudenken.
Der Anblick einer Großmutter mit ihrem Enkel weiter hinten auf der Terrasse, die Schwarzer Peter spielten, lenkte sie ab. Unwillkürlich lächelte Marina verhalten. Die Großmutter ließ das Kind absichtlich gewinnen und mimte die enttäuschte Verliererin. Der kleine Junge grinste sie an, seine Wangen rosig wie Holzäpfel, und wollte noch eine Runde spielen. Die Großmutter mischte geduldig die Karten, als wäre ihr größter Wunsch, den Kleinen an diesem Vormittag zu unterhalten. Marina beneidete sie darum und empfand ein schmerzliches Sehnen, das sie zwang wegzusehen.
Jake kam zu ihr, und bald erschienen Grey und Rafa. Marina konzentrierte sich ganz auf Rafa und achtete nicht mehr auf die Großmutter mit ihrem Enkel.
»Wie ich sehe, haben Sie Farben und Papier gekauft«, sagte er und setzte sich.
»Ich wusste nicht, was Sie brauchen, also nahm ich mir die Freiheit, es zu erraten. Ich richtete mich nach dem, womit Paul Lockwood im letzten Jahr gearbeitet hat. Unsere Gäste brauchen Materialien, auch wenn einige ihre eigenen mitbringen.«
»Ich habe ebenfalls welche mitgebracht, aber vielen Dank.«
Heather trug ein Tablett mit Silberkännchen und hübschem Porzellan herbei. Einer der Kellner half ihr, zu servieren. Den Teller mit Keksen stellte er in die Tischmitte.
»Ich schlage vor, dass Sie sich einige Zeit nehmen, sich überall umzusehen«, sagte Grey. »Hier gibt es viele schöne Motive. Harvey kennt alle Häuser und Hotels in der Nähe, falls Sie mit Ihren Schülern auch woanders hin wollen und malen. Letztes Jahr hat Paul viel Zeit in der Gegend verbracht und benachbarte Häuser mit ziemlich spektakulären Gärten gemalt. Er genoss die große Auswahl an Motiven, und ich bin sicher, dass die Nachbarn Sie mit Freuden dort malen lassen.«
»Ja, nutzen Sie die Gelegenheit, so viel von England zu sehen, wie Sie können. Dieser Teil des Landes ist so wunderschön, und wir kennen jede Menge Leute, die wirklich hübsche Häuser haben.«
»Diesen Rat nehme ich ganz gewiss an. Ich möchte ja möglichst viel kennenlernen.«
»Harvey wird Ihr Fremdenführer sein«, entschied Marina. »Keiner ist besser geeignet als Harvey.«
In diesem Moment erschien Clementine in einem weiten türkisen Kaftan über einer sehr engen weißen Jeans. Ihr Haar hatte sie wirr auf dem Kopf aufgesteckt, und sie trug kein Make-up. Offenbar wollte sie auf keinen Fall den Eindruck erwecken, sie hätte sich für den Künstler herausgeputzt, der die weiblichen Bediensteten ausnahmslos in helle Aufregung versetzte.
»Ah, Clementine, Liebes, darf ich dir Rafa Santoro vorstellen?«, sagte Grey, der seine Tochter betont euphorisch begrüßte, um deren Stimmung zu heben.
Rafa drehte sich zu dem Mädchen um, dass er vor wenigen Wochen im Black Bean Coffee Shop getroffen hatte. Clementine erkannte ihn sofort wieder und wurde rot. Prompt wünschte sie, sie hätte Mascara aufgetragen, sich das Haar gebürstet und sich ein paar Spritzer Parfüm gegönnt, von der abgewetzten Hose und dem Kaftan ganz zu schweigen. Sie implodierte und wusste gar nicht, wohin mit sich vor lauter Verlegenheit.
Rafa stand auf, ignorierte ihre ausgestreckte Hand und küsste sie auf die Wange, wie es in seinem Land Sitte war. »Schön, dich wiederzusehen.«
»Ihr kennt euch?«, fragte Marina überrascht.
»Ja, nachdem ich zum Vorstellungsgespräch bei Ihnen war, bin ich in die Stadt gefahren und habe mich ein wenig umgesehen. Da traf ich Ihre
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