Der Zypressengarten
heißt. Ich habe Scones gegessen.«
»Was ist das?«
»Ähnlich wie Alfajores de maizena, mehr oder weniger. Ich bringe dir welche mit.«
»Hast du etwas gesagt?«
»Noch nicht. Es war nicht der richtige Moment.«
»Wenn du es zu lange aufschiebst, verpasst du ihn.«
»Ich muss mir ganz sicher sein. Bisher bin ich mir nur ziemlich sicher, dass es hier richtig ist. Alle Hinweise führten hierher.«
»Wenn du nicht sicher bist, komm nach Hause und vergiss diese alberne Reise.«
»Wo ich schon so weit gekommen bin, gebe ich nicht auf.«
»Keiner kann sagen, dass du kein mutiger Mann bist. Ich bin sowieso schon stolz auf dich.«
»Dann sei weiter stolz und mach dir keine Sorgen.« Eine längere Pause trat ein, in der nichts als ein Knacksen aus der Leitung zu hören war. » Mamá, bist du noch da?«
»Ich fühle mich schuldig, Rafa.« Ihre Stimme war leiser als vorher.
»Warum?«
»Hätte ich dir nichts erzählt, wärst du niemals auf diese verrückte Suche gegangen. Dein Vater und ich haben uns geschworen, alles geheimzuhalten. Solange er lebte, gab er mir die Kraft, meinen Mund zu halten. Er nahm es mit ins Grab, wie er immer gesagt hat. Aber ich … Es ist nur, weil ich dich so sehr liebe, dass ich es nicht länger für mich behalten konnte. Du hattest ein Recht, die Wahrheit zu erfahren. Aber jetzt, wo ich es dir gesagt habe, habe ich Angst vor dem, was du aufwühlen könntest. Ich habe Angst, dass ich dir den Schlüssel zur Büchse der Pandora gegeben habe.«
»Nichts wird passieren.«
»Du weißt nicht, mit was für Leuten du es zu tun hast. Sie sind gefährlich.«
»Das ist viele Jahre her. Die Zeiten haben sich geändert.«
»Ich habe solche Angst, dass ich dich wieder in Gefahr gebracht habe.«
»Lass das meine Sorge sein.«
»Oh, Rafa, du gibst mir so viel Kraft. Ich werde es versuchen.«
»Wenn der Sommer zu Ende ist, komme ich nach Hause, und alles wird wieder so sein, wie es vorher war. Vertrau mir.«
»Ich vertraue dir, Hijo. Nur … ihnen vertraue ich nicht.«
Rafa zerstreute sie mit Fragen nach der Farm, seinen Geschwistern und deren Kindern. Nach und nach wich die Anspannung aus ihrer Stimme, und sie klang wieder wie sie selbst. Als er auflegte, fühlte er sich ein wenig besser. Ihm war der Gedanke zuwider, dass sie allein mitten in der Pampa saß und sich um ihn sorgte. Er wusste, wie viel er ihr bedeutete, und seit sein Vater tot war, war er für sie noch kostbarer geworden. Rafa stand auf, stemmte die Hände in die Hüften und sah gedankenverloren hinauf in die unendliche Schwärze der Nacht. Er war noch nicht bereit, wieder hineinzugehen. Es gab zu viele Knoten in seinem Kopf zu entwirren. Also machte er einen Spaziergang.
Die Düfte des Gartens wurden durch den Tau intensiver, und sie erinnerten ihn an Mitternachtsspaziergänge, die er als junger Mann in der Pampa unternommen hatte. Während seine Gedanken tiefer in die Vergangenheit tauchten, fühlte er eine schmerzliche Sehnsucht an seinem Herzen ziehen.
Als Rafa ein kleiner Junge war, war Lorenzo schon in den Sechzigern gewesen. Seine anderen Kinder waren alle erwachsen, und seine Frau fürchtete, dass er die Geduld für die ständigen Forderungen eines kleinen Kindes nicht mehr aufbrächte. Aber nach und nach hatte Rafa ihn mit seiner Begeisterungsfähigkeit und seiner Neugier für sich gewonnen. Er folgte ihm wie ein treuer Hund über die Farm. Als seine älteren Kinder klein waren, hatte Lorenzo zu viel arbeiten müssen; im hohen Alter war er verzückt, die Zeit zu haben, um seinen Jüngsten zu verwöhnen. Er brachte ihm Reiten bei und nahm ihn auf lange Ausflüge in die Pampa mit, erzählte ihm von der Geschichte des Landes und seiner eigenen Kindheit in Italien. Er brachte ihm Kartenspielen bei und zu lächeln, wenn er verlor, und abends saßen sie mit den anderen Gauchos am wärmenden Feuer und sangen Lieder, zu denen Lorenzo Gitarre spielte. Der alte Mann genoss es, ein Kind zu haben, dem er sich widmen durfte, anstelle von vieren, und er verwöhnte seinen Jungen mit der Nachsichtigkeit eines Mannes, der wenig anderes im Leben hatte, das ihm Freude bereiten konnte.
Rafa hatte jene Zeiten allein mit ihm geliebt. Sein Vater war ein kräftiger Bär von einem Mann mit dem ruhigen, sanften Wesen eines Hundes. Wie sehr er ihm fehlte.
13
Marina hatte seit vielen Jahren keine Albträume mehr gehabt, seit sie verheiratet war. Aber in dieser Nacht wachte sie schweißgebadet auf. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, und sie
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