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Der Zypressengarten

Der Zypressengarten

Titel: Der Zypressengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Santa Montefiore
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sich nicht freute, sie kennenzulernen. Anders als der Künstler mit seinem natürlichen Charme, lächelte der Brigadier überhaupt nicht. Jane beschloss, dass sie sich einen Platz möglichst weit weg von ihm suchen würde.
    Grace verschwendete keine Zeit und lud Rafa ein, mit ihnen zu Mittag zu essen. Der Brigadier ging nach Hause. Sein Bild ließ er da, um am nächsten Tag weiter daran zu arbeiten. Ihm gefiel es nicht, seinen Lehrer mit anderen teilen zu müssen, und normalerweise hätte er in dieser Situation seine Farben für immer weggepackt, aber er mochte den Baum und die Erinnerung, die er weckte. Ihm war, als würde er beim Malen in eine andere Welt eintauchen. Als wäre seine Vergangenheit dort, verborgen in den Ästen und darauf lauernd, wiederentdeckt zu werden.
    Grace, Pat, Veronica und Jane saßen auf der Terrasse unter einem grünen Sonnenschirm. Grace war in einen blassrosa Pashmina gehüllt, obwohl die Sonne schon reichlich Kraft hatte und die Meeresbrise leicht und warm war. Rafa gesellte sich zu ihnen.
    Jake sah, wie er sich hinsetzte, und bemerkte, welchen Effekt es auf die gesamte Terrasse hatte. Sie war keineswegs voll besetzt, doch die Gäste, die dort waren, unterbrachen prompt, was sie gerade taten, und guckten zu ihm. Es war, als würde er heller leuchten als jeder andere, und selbst Jakes Blick wurde gegen seinen Willen zu ihm gezogen. Der Künstler wurde schon von seiner Stiefmutter und seiner Schwester umschwirrt wie von einem Paar Bienen auf Droge. Diese ganze Aufmerksamkeit würde ihm fraglos zu Kopf steigen und ihn unausstehlich machen. Jake war sicher, dass er in seinem Heimatland nicht solche Beachtung fand.
    Am Nachmittag wurden mehr Staffeleien auf dem Rasen aufgestellt, und die vier Frauen betrachteten den Baum, wie Rafa es ihnen sagte. Grace fand es ziemlich schwierig, sich auf etwas anderes als Rafa zu konzentrieren. Es brauchte eine Weile – und einige Ermunterung – bis sie sich in den dichten grünen Nadeln und Ästen verlor. Der Baum machte sie unsicher, und tief in ihrem Bauch krampfte sich etwas zusammen. Grace fürchtete Armut mehr als alles andere. Je länger sie hinsah, umso mehr wurde sie in eine dunkle Welt gezogen, in der sie nichts hatte außer der Haut auf ihrem Leib. Und diese Haut war alt und runzlig wie die Baumrinde.
    Pat starrte den Baum an. Sie hatte keinerlei Mühe, sich auf ihn einzulassen. Er erinnerte sie an ihre Kindheit, denn sie liebte es, in der großen Rotbuche in ihrem Garten in Hampshire zu klettern. Ihr Vater hatte ihr oben ein Baumhaus aus Holz gebaut. Beim Anblick der Zeder fühlte sie sich wieder jung, als könnte sie aufspringen und bis in die Baumkrone klettern.
    Veronica sah den Baum verzückt an. Das Grün war so dunkel und verlockend, die Äste waren magisch und mysteriös, und Veronica fragte sich, wohin sie führten. Sie stellte sich vor, sie wäre ein Vogel, hockte hoch oben im Baum und betrachtete die Welt in heiterer Teilnahmslosigkeit. Sie würde ihre Flügel ausbreiten und tänzelnd durch die Luft schweben. Die Musik in ihrem Kopf war so klar, dass sie die Melodie mitsummte.
    Jane erkannte die Erneuerung des Lebens in den Ästen des Baumes, der seit Hunderten von Jahren hier stand und Generationen kommen und gehen sah. Der große Kreislauf des Lebens. Nachdem sie sich ohne ihren Hendrik so verloren gefühlt hatte, erwachte eine neue Zuversicht in ihr. Stimmte es nicht, dass die Natur von Jahreszeit zu Jahreszeit neu geboren wurde? Warum sollte es bei Menschen nicht auch so sein? Vielleicht war Hendrik im Himmel wiedergeboren worden und wohnte nun inmitten dieser Äste, von wo aus er ihr zusah. Der Baum gab ihr Hoffnung. Wie er aus dem Boden wuchs, die Wurzeln tief im Erdreich, die höchsten Zweige zu Gott ausgestreckt, stellte sie sich vor, er wäre Hendrik, dessen Leib in der Erde war, sein Geist jedoch hoch oben, jenseits ihrer Wahrnehmung. Sie lächelte wehmütig, als der Hoffnungsfunken in ihrer Brust einer süßen Melancholie wich.
    Rafa sah ihnen zu und beobachtete, wie sich ihre Mienen beim Betrachten des Baumes veränderten. Er sah die Angst in Graces Augen, die Hoffnung in Janes. Er bemerkte die Freude in Pats Gesicht und die Ehrfurcht in Veronicas. Als er entschied, dass sie alle inspiriert waren, etwas zu empfinden, forderte er sie auf, zu Pinsel und Farbe zu greifen. Ausnahmsweise sagte keine von ihnen ein Wort.
    Bertha stand am Fenster von Rafas Schlafzimmer. Da Marina es nicht geschafft hatte, mit Jake zu reden, hatte

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