Der Zypressengarten
Bertha beschlossen, selbst mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Jake hatte ihr mit Freuden die Verantwortung für das Künstlerschlafzimmer übertragen.
»Du bist die Richtige für den Job«, hatte er grinsend gesagt und ihr auf die Schulter geklopft. »Ich weiß gar nicht, wieso mir das nicht eingefallen ist.«
Nun also stand sie oben und guckte zu, wie Rafa den alten Frauen malen beibrachte. Sie erinnerte sich noch an den Malunterricht in der Schule, den sie gehasst hatte, weil sie so schlecht gewesen war. Bertha war überhaupt nicht kreativ, trotzdem würde sie es versuchen, sollte er sie fragen. Sie wandte sich vom Fenster ab und begann, sein Zimmer aufzuräumen. Es roch nach Sandelholz. Umherwuselnd hob sie seine Sachen hoch und schnüffelte an ihnen. Sie genoss seinen Duft.
Bertha war nicht mal sicher, wo genau Argentinien war, wusste aber noch, dass Diego Maradona von dort war, dessen »Hand Gottes«-Tor bei der WM 1986 alle in Aufruhr versetzte. Auch der war ziemlich sexy gewesen. Mr Santoros Bett musste sie nicht machen, denn das hatten die Zimmermädchen morgens erledigt. Eigentlich hatte sie hier gar nichts zu tun, aber weil ihr die Aufgabe zugeteilt wurde, sich künftig um die Suite zu kümmern, fand sie es nur recht und billig, heute schon mal nachzusehen, ob alles ordentlich gemacht worden war. War es, wie sie sehen konnte. In Zukunft allerdings wäre sie es, die hier putzte, jeden Morgen und jeden Abend.
Mr Santoro war sehr unordentlich. Sie hängte seine Wildlederjacke über die Rückenlehne eines Stuhls und legte das Hemd zusammen, das er den Tag vorher angehabt hatte. Es war aufregend, sich ihm so nahe zu fühlen, und ihr wurde heiß bei dem Gedanken, dass er jeden Augenblick hereinkommen und sie ertappen könnte, wie sie an seinen Kleidern roch. Ihr fiel auf, dass sein Koffer noch auf dem Gestell stand, wo ihn sicher Tom hingepackt hatte. Er sah nicht schwer aus. Bertha wollte ihn unterm Bett verstauen, damit er aus dem Weg war. Als sie ihn hochhob, stellte sie fest, dass der Reißverschluss offen war. Sie hob den Deckel hoch, um sich zu vergewissern, dass der Koffer leer war, und linste hinein. Es war wirklich nichts drin bis auf eine wichtig aussehende Mappe. Bertha blickte sich um, ob sie auch tatsächlich allein war, ehe sie die Mappe herausholte.
Sie sah alt und ausgeblichen, aber offiziell aus, so wie die in amerikanischen Krimiserien wie Law & Order. Zitternd vor Neugier zog sie die Lasche auf. Sie war voller Papiere, unterschiedlicher Papiere und alle in einer Sprache, die sie nicht verstand. Was redeten die in Argentinien? Italienisch? Das war es dann also, Italienisch. Weiter hinten war ein dicker Stapel Briefe, in einer sehr sauberen Handschrift und mit Gummiband zusammengehalten. Sie nahm die Briefe heraus. Es war frustrierend, dass sie nicht lesen konnte, was in ihnen stand, doch Bertha überflog den ersten dennoch. Ein Name stach hervor, und sie entdeckte die Worte »ti amo«, von denen sie wusste, dass sie »ich liebe dich« hießen, weil sie in einem Laura-Branagan-Song aus Berthas Teenagerzeit vorgekommen waren. Im selben Moment hörte sie Schritte auf der Treppe. Hastig packte sie die Briefe in die Mappe zurück und die Mappe in den Koffer.
Sie flitzte hinüber zum Bett und fing an, den Überwurf glatt zu streichen, damit es aussah, als würde sie aufräumen. Ihr Herz raste, und Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Nasenspitze. Als sie sicher war, dass keiner kam, atmete sie tief durch und entspannte sich ein wenig. Nun wollte sie nur noch schnell hier raus. Als sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunterstieg, setzte sich der gelesen Name irgendwie in ihrem Kopf fest. Es war ein komischer Name, denn eigentlich gehörte da noch ein »n« rein. Aber vielleicht benutzten sie in Argentinien nicht so viele »n«.
Costanza. Das müsste doch »Constanza« sein, oder nicht?
15
Clementine war nicht überrascht, als Joe zu ihr ins Büro kam. Sie hatte ihn gemieden, nicht auf seine Anrufe reagiert und wusste, dass es bloß eine Frage der Zeit war, ehe er aufkreuzte. Jetzt stand er vor ihr, und sie überkam das unschöne Gefühl, aus einem Traum zu erwachen und die schnöde Realität vorzufinden. So viel sie auch von Rafa fantasieren mochte, die Wahrheit war, dass er in einer ganz anderen Liga spielte. Sie blickte den groben, durchschnittlichen Joe an, der wie so viele andere Männer aussah, die man in Bars und Pubs in ganz England traf, und fragte sich, ob er das Beste war, auf das
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