Der Zypressengarten
sie das Gegenteil behauptete. Andererseits war das eigentlich gar nicht so schlecht gewesen.
In einem Anfall frisch geweckten Optimismus wusch und föhnte sie sich das Haar, ehe sie sich sehr sorgfältig schminkte. Sie überdeckte die Ringe unter ihren Augen mit Concealer und betonte die Wimpern mit Mascara. Man kann ja nie wissen, dachte sie. Vielleicht kommt er zu mir ins Büro. Sie entschied sich für ein marineblaues Kostüm von Emporio Armani, das sie noch nie angehabt hatte, weil es ihr zu erwachsen vorkam, und ein Paar hohe Schuhe. Rafa würde sie mögen. Falls er zu ihr kam, sollte er eine Frau vorfinden, nicht das Kind, mit dem er sich gezankt hatte. Sie sparte sich die Mühe, ihren Liebhaber zum Abschied zu küssen; er war sowieso schon wieder eingeschlafen.
Auf dem Weg zur Arbeit ging sie in den Black Bean Coffee Shop. Während sie in der Schlange stand, fiel ihr ihre erste Begegnung mit Rafa wieder ein. Sogar der Sandelholzduft schien wieder da zu sein. Sie blickte sich um, hoffte idiotischerweise, dass ihn irgendetwas veranlasst hatte, im Ort zu frühstücken. Aber im Café waren bloß die üblichen jungen Mütter mit Kleinkindern und Geschäftsmänner auf dem Weg zur Arbeit. Sie bemerkte, dass einige der Männer von ihren Zeitungen aufblickten und sie interessiert musterten. Ja, sie fühlte sich gut in dem Kostüm.
Da sie wusste, dass Mr Atwood morgens eine wichtige Besprechung hatte, kam sie mit Kaffees, Muffins und heißer Schokolade für Sylvia beladen bei Atwood und Fisher an. Mr Atwood saß mit einem Ehepaar, das nach einem Haus suchte, im Empfangsbereich. Er schaute auf, zuckte zusammen und begann vor lauter Verwirrung zu stammeln.
Clementine strahlte. »Guten Morgen, Mr Atwood. Ich habe Kaffee und Muffins mitgebracht.« Sie stellte alles auf den Tisch vor ihnen.
»Muffins! Und meine Lieblingssorte«, sagte der Besucher, griff sich einen und biss hinein.
»Was für eine umsichtige Sekretärin«, sagte seine Frau, die neidisch Clementines Kostüm beäugte.
»Ich stelle nur die Besten ein«, sagte Mr Atwood immer noch ein bisschen verwirrt.
»Danke für den Kakao«, sagte Sylvia, der Clementines Verwandlung ebenso wenig entging. »Dein Kostüm ist ja klasse. Dieser Look steht dir.«
»Ich habe beschlossen, dass ich nicht mehr ich sein will«, erklärte Clementine, setzte sich hin und schaltete ihren Computer an.
»Und was ist verkehrt an dir?«
»Alles.«
»Jetzt nicht mehr. Es tut gut, eine Frau in hohen Schuhen zu sehen. Die zeigen, dass du es ernst meinst.«
»Das sollen sie auch.«
»Wie ich höre, bist du zu Joe gezogen.«
»Ja.«
»Dann muss es wohl Liebe sein.«
»Was es auch sein mag, so ist es praktischer.«
»Krach gehabt zu Hause?«
»Wann habe ich den mal nicht?«
»Joe ist ein Netter. Er wird sich gut um dich kümmern.«
»Heute Morgen lag er noch unter der Decke.«
»Verstehe ich. Ich wollte auch nicht aufstehen. Das Blöde an einer Affäre mit einem verheirateten Mann ist, dass man nie morgens geknuddelt wird.«
»Ich habe nicht mal ein ›Guten Morgen‹ gehört.«
»Aber wenigstens ist er da. Ich sollte Freddie lieber gegen einen Alleinstehenden austauschen. Einen, den ich mit keinem teilen muss.«
»Klar«, stimmte Clementine ihr zu, ohne richtig hinzuhören. Ihre Gedanken waren wieder beim Hotel. Sie fragte sich, ob Rafa gerade auf dem Rasen Malunterricht gab.
»Vielleicht gehe ich heute Abend auf einen Drink rauf zu eurem Hotel.«
Clementine runzelte die Stirn. »Aha? Wieso?«
»Alle Welt redet von deinem Argentinier.«
»Er ist nicht mein Argentinier.«
»Schön. Dann ist die Bahn frei?«
»Für dich?«
»Ja, sicher doch. Lateinamerikaner mögen kurvenreiche Frauen, oder nicht?«
»Weiß ich nicht. Ich weiß rein gar nichts über Südamerikaner.«
»Okay. Jedenfalls redet jeder von ihm. Sugar war gestern Abend oben und ist total verknallt.«
»Ich weiß. Ich habe sie gesehen. Die hat sich an ihn rangeschmissen wie eine notgeile alte Schnepfe.«
»Sei nicht so fies«, schalt Sylvia sie. »Sie hat eben gerne Spaß.«
»Ja, klar, und nicht dass du mich falsch verstehst. Ihm hat es gefallen.«
»Sicher hat es das. Sie sagt, er ist zum Anbeißen. Sie will deine Stiefmutter fragen, ob sie am Wochenende Malkurse buchen können.« Sylvia kicherte. »Vielleicht lerne ich auch malen.« Dabei zog sie die Brauen hoch. »Und ich bin jederzeit bereit, für einen Akt Modell zu stehen.«
Clementine versuchte, nicht eifersüchtig zu sein. Es ließ sich gar
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