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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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haben, können Sie auf einem Farbmonitor die Reise der Sonde (und der Telekamera) in interiore homine beobachten. Sie machen eine Reise halb im Stil des Augustinus, halb im Stil von Jules Verne, und Sie haben den Eindruck, wenn nicht der erste Mensch auf Erden, so doch einer der ersten der Spezies zu sein, nach Jahrtausenden und Aberjahrtausenden, der auf einem Bildschirm eine Reise durch die eigenen Eingeweide verfolgt.
    Die Erfahrung ist (wenn Sie das kleine Unbehagen in Kauf nehmen) faszinierend. Sie reisen durch verschiedenfarbige, zwischen blaßrosa und dunkelrot changierende Gänge, und die einzige Enttäuschung würde eintreten, wenn der Arzt an einem bestimmten Punkt plötzlich angesichts einer in Farbe und Form besonders interessanten Bildung ausriefe: »Oh, was für ein schöner Tumor!« Geschieht das nicht, gehen Sie mit der Gewißheit nach Hause, von der hinteren Öffnung bis zur Schwelle des Magens (ungefähr, verzeihen Sie die mangelnde Präzision) gesund zu sein. Und geschieht es doch, ist es besser, Sie wissen es gleich, vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Deshalb sollte jedermann und jedefrau diese Erfahrung (von der Krankenkasse bewilligt) wenigstens alle zwei Jahre machen, und Dank sei den neuen Techniken, daß sie es uns ermöglichen.
    Ein paar Tage später überreicht Ihnen dann der Arzt das Farbfoto Ihres eigenen Grimmdarms, und wenn Sie wollen, können Sie es sich rahmen lassen und neben das Ihrer Ahnen hängen oder neben das von Ihnen selbst als Säugling auf einem Leopardenfell, wie man es früher hatte.
    Das einzige Problem ist, daß alle Grimmdärme aller Menschen unter normalen Bedingungen gleich aussehen, und es ist einer der Vorzüge der Natur, daß sie in so konstanter Weise vorgeht, vielleicht ein bißchen monoton, aber damit erlaubt sie uns, aus vielen Einzelfällen (sei’s auch durch gewagte Induktionen) auf allgemeine Gesetze zu schließen. Daher können wir Freude an einem Farbfoto unseres eigenen Grimmdarms haben (die Wege des Narzißmus sind unendlich), während uns das Farbfoto des Grimmdarms eines anderen völlig kalt läßt. Ein Umstand, der mir ganz menschlich und normal erscheint. Warum sollte mich der Grimmdarm von Chirac oder Clinton interessieren? Und bei Sharon Stone gibt es interessantere Dinge als den Grimmdarm zu sehen, sonst hätte Paul Verhoe-ven nicht Basic Instinct gedreht, sondern einen Dokumentarfilm in der Manier von Piero Angela.
    Gut, also der oben erwähnte Herr hat sich eine Homepage im Internet gekauft (was einiges kostet), um dort al-ler Welt das Foto seines Grimmdarms zu zeigen. Man ahnt, welches psychologische Drama dieser Entscheidung zugrunde lag. Ein Mensch, dem das Leben keine Möglichkeit gegeben hat, sich hervorzutun und seinen Namen, ich sage gar nicht der Nachwelt, sondern nur den eigenen Zeitgenossen bekannt zu machen, entschließt sich - gegen große Übel helfen nur große Mittel -, wenn nicht in die Geschichte, so wenigstens in die Aktualität einzugehen, indem er Millionen von potentiellen Internet-Surfern seinen Grimmdarm zeigt, der freilich genauso aussieht wie der Grimmdarm eines jeden beliebigen anderen. Es gibt Leute, die, um berühmt zu werden, ihre Eltern umbringen oder in eine Talkshow gehen, um ihre eigene Nichtigkeit darzutun. Unter allen Lösungen scheint mir die des betreffenden Herrn die am wenigsten gesellschaftsschädliche.
    Doch wer im Internet zu jener Homepage gelangt ist (um dann von ihr eine irrelevante Enthüllung zu bekommen, die alle Prinzipien der mystischen Epiphanie beleidigt), hat immerhin eine gewisse Summe für Telefonverbindungen ausgegeben (um nicht von dem Zeitaufwand und dem entgangenen Gewinn zu sprechen, auch nicht von den in Anspruch genommenen Linien und der Störung, die daraus für die Gemeinschaft der Netzbenutzer erwächst). Aber dies ist ja das Schöne an der Anarchie des Internet: Jeder hat das Recht, seine eigene Irrelevanz zu bekunden. Da Millionen von Irrelevanzen jedoch etwas statistisch Relevantes ergeben, kann der Surfer sich trösten. Er hat eine Momentaufnahme erhalten, die viel über unsere heutigen Tragödien der Anonymität und Einsamkeit besagt. Verglichen mit Herostratos, der, um in die Geschichte einzugehen, den Artemistempel in Ephesus anzündete (und damit der Allgemeinheit einen beträchtlichen Schaden zufügte - obwohl ich vor einem Urteil über Herostratos, wie Stanislaw Jerzy Lec sagte, lieber erst mal den Artemistempel in Ephesus gesehen hätte), sei mir willkommen, wer

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