Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
scheint’s nicht zu gehen, dann doch ...
Das sind zwölf, aber egal, vielleicht kürze ich ’s noch ein bißchen. Also eine Liebesgeschichte?
Nicht ganz. Da ist auch die Vorsehung, da ist das Böse, da ist die Pest .
Wieso die Pest und nicht zum Beispiel ein Infarkt?
Bei einem Infarkt hätte eine Seite genügt ...
Sagen Sie uns, warum schreiben Sie?
Was soll ich sonst tun? Meinen Sie, ich könnte als Gewichtheber auftreten?
Gehen wir mehr in die Tiefe. Warum spielt Ihre Geschichte am Comer See und nicht zum Beispiel am Titicacasee?
Wissen Sie, wir Künstler folgen den Impulsen des Herzens, und das Herz hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt.
Wunderbar, warten Sie, das muß ich mir notieren. Also: Das Herz läßt sich nichts befehlen ...
Nein, das Herz hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt.
Genau, ich hab ’s nur zusammengefaßt. Nun sagen Sie uns, wann denken Sie die Sachen, die Sie schreiben?
Na ja, das hängt davon ab ... Ich denke eigentlich immer. Denken heißt leben, wenn ich denke, fühle ich mich lebendig .
Fantastisch! Könnten Sie das noch mal ganz knapp sagen?
Ich denke, also bin ich.
Wahnsinn! Superoriginell! Aber Sie haben doch auch religiöse Hymnen geschrieben, über Weihnachten zum Beispiel ... Wieso jetzt ein Roman über zwei Brautleute und nicht über Pfingsten?
Über Pfingsten habe ich schon eine Hymne geschrieben.
Richtig. Und schreiben Sie schon an einem neuen Roman?
Ich habe doch gerade erst diesen beendet. Lassen Sie mich doch ein bißchen Atem holen!
Sie spielen gern den Geheimniskrämer, was? Letzte Frage: Was erwarten Sie sich von diesem Roman?
Na ja, daß er viele Leser findet, daß er gefällt ...
Der Chefredakteur liest das Interview: »Also das ist wirklich ein Knüller! Hauen Sie einen vier Spalten breiten Titel drüber, und heben Sie die pikantesten Einzelheiten hervor, besonders die letzte Erklärung: >Manzoni gesteht: Schluß mit Pfingsten!< Dann hat er uns den Bestseller zu verdanken!«
So ungefähr geht’s heute zu (und nicht nur bei uns in Italien). Weshalb es Leuten in meinem Beruf passieren kann, daß sie den Schreibtisch voller Faxe haben, in denen sie um ein Interview gebeten werden. Zum Glück fängt der Anrufbeantworter die krassesten Anrufer ab, die unsere knallhart auf den Punkt gebrachte Meinung über alle möglichen Geschehnisse in der großen weiten Welt hören wollen. Es stimmt zwar, daß ein verantwortlich denkender Mensch über alles, was geschieht, eine halbwegs klare Meinung hat und haben soll, aber eine Meinung zu haben heißt nicht unbedingt, eine originelle Meinung zu haben. Ich zum Beispiel bin der festen Meinung, daß es ungut ist, Kinder zu töten, aber ich finde es verfehlt, wenn mich jemand anruft, um von mir zu wissen, was ich über den Kin-dermord von Bethlehem denke. Ich halte auch das Töten von Erwachsenen für ungut, aber wenn ich diese Präzisierung abgäbe, würde man mir unterstellen, ich hätte gesagt, um die Kinder brauche man sich nicht weiter zu sorgen.
Nochmal zurück zu den Faxen. Sagen wir, auf dem Schreibtisch jedes schreibenden Menschen türmt sich jede Woche eine gleichbleibende Zahl von Interview-Anfragen. Außer in einem Fall. Nämlich wenn er kurz zuvor ein Interview gegeben hat. Dann verdoppelt sich die Zahl der Anfragen. Hier ein Beispiel. Vor zwei Wochen gab ein befreundeter Schriftsteller in einer Tageszeitung ein langes Interview über einige Probleme im Zusammenhang mit der letzten Parlamentswahl. Wie es in solchen Fällen geschieht, sagte er einige Dinge, die nur er allein dachte, und andere, die alle denken. Was ist passiert? Daß ihn jetzt viele Zeitungen (darunter auch eine holländische) bitten, ihnen ein Interview zum selben Thema zu geben.
Der Ehrgeiz einer Zeitung sollte darin bestehen, die aktuellen Nachrichten früher als andere zu bringen, in jedem Fall aber sie zu bringen, auch wenn die anderen sie ebenfalls bringen; bei den Meinungen sollte man dagegen aufs Originelle und Unerhörte setzen. Müßte ich Journalismus lehren, würde ich meinen Schülern erklären: Wenn Hinz einen interessanten Artikel in der Zeitung für Hinze geschrieben hat, darf die Zeitung für Kunze nicht den Artikel von Hinz nachdrucken, sondern höchstens einen ganz anderen Artikel von Kunz erbitten. Aber von wegen. Heute scheint es der Imperativ des Journalismus zu sein, um jeden Preis nachzudrucken, was anderswo schon erschienen ist. Das Ganze ist so, als würde der Verlag A, gelb vor Neid, weil der Verlag B
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