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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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amtliche Jahresbericht über die italienische Gesellschaft von 1994 in die Hände gefallen, und darin finde ich einige Überraschungen.
    Es verwundert nicht, daß in den letzten zwei Jahren der Gesamtaufwand für politisch-elektorale und sonstige Meinungsumfragen von 2,54 auf 5,6 Milliarden gestiegen ist. Aber die unerwartete Neuigkeit ist, daß 73 Prozent dieser Umfragen nicht von politischen Gruppen in Auftrag gegeben wurden, sondern von der Presse, welche die Resultate dann zu 69,4 Prozent als Meldung auf der ersten Seite gebracht hat, anstelle von Nachrichten und Kommentaren. Gewiß könnte die Presse hier erwidern, sie habe die Umfragen ja gerade deshalb in Auftrag gegeben, damit sie eine wissenschaftliche Alternative zu den als fragwürdig eingestuften Umfragen anbieten könne. Doch hier eine weitere Überraschung: Wie es scheint, haben 84,8 Prozent aller Umfragen - also auch ein sehr hoher Prozentsatz der von den Zeitungen selbst veranlaßten - keine Angaben über ihre Methoden gemacht (also über die Zahl der befragten Personen, die Techniken der Befragung usw.).
    Auch wer sich in diesen Dingen nicht besonders gut auskennt, wird begreifen, daß eine Umfrage, die ihre eigenen Kriterien nicht öffentlich macht, keinerlei Wert hat, beziehungsweise nur soviel wie eine erfundene Umfrage oder wie jener Werbespruch, demzufolge ein bestimmtes Waschmittel weißer als andere wäscht. Entweder man glaubt ihr alles aufs Wort, oder man glaubt ihr gar nichts.
    Einerseits überwiegt also immer mehr eine Methode der direkten Demokratie oder der Volksbefragung »in Echtzeit«, die tendenziell an die Stelle der traditionellen Systeme zur Erzeugung und Überprüfung von Konsens tritt; andererseits garantiert dieses System keineswegs seine eigene Objektivität, sondern umgeht im Gegenteil eher skrupellos das Problem. Und schließlich enthüllen diese Arten von Umfrage nur, wie oben gesagt, vorübergehende und sehr labile Stimmungslagen, während wir von einer wissenschaftlichen Umfrage doch erwarten, daß sie, wenn sie gelingt, uns den Pulsschlag der öffentlichen Meinung auf längere Dauer angibt. Ähnlich jenem, den der Bürger, so hofft man, in der Wahlkabine zum Ausdruck bringt, nachdem er einen zumindest ungefähren Durchschnittswert seiner im Laufe eines Wahlkampfs empfundenen Gefühle ermittelt und eine nüchterne Abwägung des Für und Wider vorgenommen hat.
    1995
    XXXXXXXXXXXXXXXXX Sie haben richtig gelesen: XXXXXXXXXXXX
    Es ist der Fälligkeitstag, die Redaktion des Espresso wartet auf meinen Streichholzbrief. Und ich habe nichts zu sagen. Oder besser, ich mag heute nichts sagen. Also: um den vorgesehenen Platz mit der Aussage zu füllen, daß ich nichts sagen möchte, werde ich mich mehr anstrengen müssen, als wenn ich ein beliebiges Thema behandeln würde, vielleicht angeregt durch irgendeine Agenturmeldung. Aber es scheint mir geboten, etwas zum Lob der Sprachlosigkeit zu sagen.
    Ich weiß schon, man wird mich jetzt fragen, warum ich dann nicht einfach keinen Text schicke? Nun, weil ich eine Verpflichtung eingegangen bin, eine Zeitschrift lebt ihre Rhythmen, die Setzerei hat die Seite frei gelassen, wenn ich den Text nicht schicke, bringe ich einen Haufen Leute in Schwierigkeiten, die sich dafür abmühen, daß die Nummer erscheint. Ich kann sie nicht sitzenlassen.
    Warum höre ich dann nicht ein für allemal auf? Wenn man seit dreißig Jahren für dasselbe Blatt schreibt, tut man das - wie soll ich sagen? - aus Treue, weil sich ein Dialog mit den Lesern gebildet hat, weil es feige wäre, sich fortzustehlen. Sicher, niemand ist unverzichtbar, aber wenn man gleichsam als Wache auf die letzte Seite des Hefts gestellt worden ist, hat man dort zu bleiben. Aus Sturheit, aus Loyalität, aus Gewohnheit. Und dann auch, weil es ja nächste Woche passieren könnte, daß ich etwas sagen möchte, und dann wär’s blöd, wenn ich keinen Platz dafür hätte. Nur um diesen Platz bereit zu haben, muß ich ihn besetzt halten. Wie jener Typ in Jules Vernes Der Kurier des Zaren, der, um den Telegrafen besetzt zu halten, damit ihn die Konkurrenz nicht benutzen kann, Passagen aus der Bibel telegrafiert.
    Im Grunde müßte es journalistische Pflicht sein, auch einmal zu sagen: »Heute gibt es nichts zu berichten, beziehungsweise was wir zu berichten hätten, wäre bloß Routine, Kleinkram, Geschwätz. Das Übliche.« Nie etwas vortäuschen! Und doch ist das die Verdammung des Journalismus: Eine gegebene Anzahl von Seiten muß Tag für

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