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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Tag oder Woche für Woche auf Biegen und Brechen gefüllt werden, auch wenn nichts passiert ist. Früher lösten die Zeitungen das Problem so: Wenn Ferragosto war und nichts passierte, erfand man etwas. Das Ungeheuer von Loch Ness war stets zur Stelle. Es war der Schutzpatron der Journalisten, es kam immer zur rechten Zeit, um das Schweigen zu bannen.
    Heute nützt die große Schlange nichts mehr: Andere Ungeheuer stehen bereit, um schnell was zu sagen und morgen zu dementieren, so viele, daß ihre Worte im allgemeinen Lärm untergehen und schon vergessen sind, ehe es Abend wird.
    Man kann über alles schreiben, weil die Leser am Ende alles vergessen; aber die Leser haben sich gerade deswegen so ans Vergessen gewöhnt, weil sie zuviel belangloses Zeug lesen müssen. Andererseits würden sie eine leere Seite nicht ertragen. Um zu wissen, daß es nichts zu wissen und nichts zu lesen gibt, wollen sie die Seite vollgeschrieben haben. So kommt es, daß eine Zeitung, um zu sagen, daß es nichts zu sagen gibt, sich nicht entblödet zu schreiben: »Der Soundso hat sein nächstes Buch noch nicht geschrieben.« Auch die Meldung, daß das Nichts nichtet, ist eine Nachricht.
    Andererseits, was tun? Die Journalisten müssen den
    Kommunikationskanal in Betrieb halten. Wie der Leuchtturmwärter den Leuchtturm. Irgendwann wird der Kanal dazu dienen, etwas zu sagen, was zu verschweigen ein Verbrechen wäre.
    Welch ein Traum, die berühmte erste Seite der Londoner Times, die nur aus Werbung bestand. »Heute ist nichts passiert, und das sagen wir euch dadurch, daß wir auf die erste Seite nur Kleinanzeigen setzen. Wir üben unseren Beruf aus, der darin besteht, euch zu sagen, was wichtig ist. Heute sagen wir euch, daß nichts wichtig ist.« Aber nicht einmal die Times befolgt heute noch diese goldene Regel.
    Früher, wenn ich nichts Wichtiges fand, worüber ich schreiben konnte, habe ich kleine Spielchen gemacht, absurde Gedankenverbindungen, Anagramme. Aber unsere heutige Zeit scheint mir keine zum Spielen zu sein. Zu viele spielen inzwischen, und zwar russisches Roulette.
    Heute ist mir wirklich danach, einfach gar nichts zu sagen. Ich habe nichts Neues, alles ist schon gesagt worden. Das ist die Nachricht, die zu geben ich die Pflicht habe. Es gibt Momente, in denen das Schweigen die einzige Nachricht ist. Aber wenn man schweigt, glauben die anderen, man hätte ein Geheimnis. Voilà, dies ist der Knüller: Ich habe nicht einmal Geheimnisse. Vielleicht haben Sie welche. Versuchen Sie doch mal, etwas Wichtiges zu schreiben. Ich biete Ihnen einen Absatz an. Ersetzen Sie jedes X durch einen anderen Buchstaben Ihrer Wahl, setzen Sie Leerpunkte ein und bestimmen Sie die Grenzen der Wörter.
    Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
    xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
    xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
    xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx.
    Entschuldigen Sie, wenn ich den Eindruck erweckt habe, ich sei faul. Ich bin im Gegenteil sehr fleißig und präzise:
    Ich habe nichts Interessantes zu sagen (das steht fest, ich könnte beim Leben meiner Kinder darauf schwören, wenn das nicht kitschig wäre), aber vielleicht liegt das daran, daß es tatsächlich nichts Interessantes zu sagen gibt. Ist das nicht eine tolle Nachricht? Sagen Sie jetzt bitte nicht, Sie wollten Ihr Geld zurückhaben. Teilen Sie die Zahl der Seiten dieses Espresso durch seinen Preis, und Sie werden feststellen, daß ich Ihnen ungefähr sechzehn Lire geraubt habe. Wenig dafür, daß Sie jetzt (für diesmal zumindest) die Wahrheit wissen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
    1994
Warum Bücher unser Leben verlängern
    Wenn ich heute Artikel lese, die sich besorgt über die Zukunft der menschlichen Intelligenz äußern, weil neue Maschinen sich anschicken, unser Gedächtnis zu ersetzen, kommt mir das irgendwie bekannt vor. Wer sich ein bißchen auskennt, denkt sofort an jene oft zitierte Stelle aus Platons Phaidros, wo erzählt wird, wie der ägyptische König Thamus dem Gott Theuth, der die Schrift erfunden hat, erschrocken prophezeit, durch diese unselige Erfindung würden die Menschen verlernen, sich zu erinnern und folglich zu denken.
    Das gleiche Erschrecken muß denjenigen überkommen haben, der zum ersten Mal ein Rad sah. Er wird gedacht haben, jetzt würden die Menschen das Gehen verlernen. Vielleicht waren die Menschen jener Zeiten begabter als wir zum Marathonlauf in Wüsten und Steppen, aber sie starben früher,

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