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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Referendums über das Fernsehen hörte. Warum ich das jetzt erst tue und nicht schon damals? Nun, wie jemand bei Hugo Pratt sagte (ein bizarrer Dankali, scheint mir), »weil es mir so gefällt«.
    An jenem Abend dachte ich mir, wenn einem durchschnittlichen Italiener die Frage vorgelegt worden wäre: »Hätten Sie es lieber, daß die privaten Fernsehsender einem einzigen gehören, oder daß sie die Standpunkte verschiedener Besitzer ausdrücken?« (statt der Frage des Referendums: ob Berlusconis Fernsehmacht eingeschränkt werden solle, ja oder nein), dann wäre die Antwort klar gewesen: natürlich ja. Aber das Gegenteil ist geschehen. Dafür muß es eine Erklärung geben, und es genügt nicht zu sagen, daß für das »Nein« eine so massive Werbung im Fernsehen gemacht worden war. Wenn mit der gleichen massiven Werbung versucht worden wäre, all jene Millionen Italiener zu überreden, am Tag des Referendums eine Stunde Gymnastik zu treiben, dann wäre die Antwort kaum so eindeutig ausgefallen. Der Grund ist, denke ich, daß all jene, die mit Nein gestimmt haben, und der größte Teil derer, die sich enthalten haben, das Fernsehen nicht als politisches Subjekt wahrnehmen. Daß aus dem Kasten auch Nachrichten und Diskussionen kommen, ist für sie nebensächlich; er ist in erster Linie ein elektrisches Haus-haltsgerät, unverzichtbarer und nahrhafter als der Kühlschrank. Und all diesen Italienern war es nun so vorgekommen, als wollten andere (die Anhänger des »Ja«) einen magischen Kasten, der per definitionem nicht politisch sein kann (sein darf), unerlaubterweise in einen politischen Streit hineinziehen.
    Wenn dem so war, dann liegt auf der Hand, daß sich, je mehr die Propaganda für das Ja politische Gründe ins Feld führte (Freiheit und Meinungsvielfalt, gegen zuviel Konzentration usw.), in den Köpfen der Fernsehzuschauer die Idee festsetzte, man wolle die Welt der privaten Gefühle politisieren. Und so hat die Propaganda für das Nein gesiegt, die sich nicht etwa auf politische Argumente gründete (wie Meinungsfreiheit und andere Vorwände), sondern auf ein einfaches »Nehmt uns nicht das Brot, das wir uns verdienen, indem wir euch unterhalten, und riskiert nicht, daß ihr morgen weniger Fernsehen habt, als wir euch heute geben«.
    Vulgäre Reaktion? Verhalten von Fernsehsüchtigen? Oder auch Anzeichen dafür, daß die Bürger wollen, daß man sich auch um die Qualität ihres privaten Lebens kümmert (wobei sie sich allenfalls über den Begriff der Qualität täuschen)? Im übrigen habe auch ich, und zwar genau an jenem selben Abend, das Fernsehen als einen magischen Kasten benutzt. Da ich die Nachricht, die mich interessierte, bekommen hatte und mich die allzu vielen Debatten, die sich über sie anschlossen, langweilten, sah ich mich in anderen Kanälen um und stieß auf das Dritte Programm der RAI, wo Roman Vlad gerade des verstorbenen Arturo Benedetti Michelangeli gedachte. Er erklärte, wie Michelangeli Chopins Ballade Nr. 1 g-Moll spielte, führte einzelne Abschnitte vor und kommentierte sie, zeigte, worin sich Michelangelis Interpretation von der eines mittelmäßigen Pianisten unterschied - und schon diese wenigen Ausschnitte versetzten mich zurück in die Zeit, in der ich, sechzehnjährig, von Chopin verzaubert war. Danach kam eine alte Schwarzweiß-Aufzeichnung von einer Darbietung der Ballade durch Michelangeli, und ich verlor mich in Chopin.
    Während Italien über die Ergebnisse des Referendums diskutierte, ließ ich mich von der absoluten Vollendung jener Ballade ergreifen. Ich nahm an einem Ritus der Schönheit teil, während mein Land einer Täuschung zum Opfer fiel. Und doch erschienen mir alle Vulgaritäten, die mich in den Tagen zuvor geärgert hatten, ja das Fernsehen selbst als Vehikel der Rohheit, gleichsam erlöst: Durchs Fernsehen (ich weiß nicht, ob im Kontakt mit dem Absoluten oder mit der Erinnerung, aber die beiden Instanzen fallen ja bekanntlich oft zusammen - wer war’s doch gleich, der sich schmachtend nach einem kleinen Motiv von Vinteuil verzehrte?) zog ich mich in jenen Bereich zurück, in dem das Private und das Allgemeine sich oft gefährlich vermischen.
    Widersprach das nicht allem, was uns beigebracht worden war - sowohl der Pflicht, sich die Hände schmutzig zu machen im Kampf für unsere Überzeugungen, wie der Notwendigkeit, für eine bessere Welt auf dieser Erde zu kämpfen, wie auch dem Verbot, ein Gespräch über Bäume zu führen, wenn es ein Schweigen über so

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