Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
ist? Wenn der Krieg alten Schlages das Ziel hatte, möglichst viele Feinde zu vernichten, scheint es für den Krieg neuen Schlages typisch zu sein, daß man bemüht ist, möglichst wenige Feinde zu töten, da man sich sonst den Unmut der Medien zuziehen würde. Im Krieg neuen Schlages ist man nicht darauf bedacht, den Feind zu vernichten, denn die Medien machen uns sensibel für seinen Tod; der Tod ist nicht mehr ein fernes unbestimmtes Ereignis, sondern eine unerträgliche visuelle Evidenz. Im Krieg neuen Schlages bewegt sich jede Armee im Zeichen des Opfertums, Milosevic beklagt schreckliche Verluste (Mussolini hätte sie schamhaft verschwiegen), und wenn ein Jagdbomber der Nato abstürzt, sind alle ganz betroffen. Kurzum, im Krieg neuen Schlages verliert, jedenfalls in der Gunst des Publikums, wer zuviel getötet hat. Daher 52
ist es ganz folgerichtig, daß an der Grenze nichts passiert und niemand etwas vom anderen weiß. Letztlich steht der Neu-Krieg im Zeichen der »intelligenten Bombe«, die den Feind vernichten soll, ohne ihn zu töten, und man versteht unsere Minister, wenn sie sagen: »Wir, Gefechte mit dem Feind? Aber nein, nicht im mindesten!« Daß dann trotzdem eine Menge Leute sterben, ist technisch gesehen irrelevant. Ja, es ist eher der Fehler des Neu-Krieges, daß Leute sterben, ohne daß man gewinnt.
Kann es wirklich sein, daß niemand einen Krieg neuer Art zu führen versteht? Jawohl, niemand, das ist ganz na-türlich. Das Gleichgewicht des Schreckens hatte die Stra-tegen auf einen Atomkrieg vorbereitet, aber nicht auf einen dritten Weltkrieg, in dem es darum geht, Serbien das Kreuz zu brechen. Es ist, als ob man die besten Zöglinge des Polytechnikums fünfzig Jahre lang mit Computerspie-len beschäftigt hätte. Würde man ihnen dann heute den Bau einer Brücke anvertrauen? Aber schließlich ist die letzte Posse des Neu-Krieges nicht, daß es heute niemanden gibt, der alt genug ist, um das Kriegführen gelernt zu haben – und es könnte ohnehin keinen geben, da der neue Krieg ein Spiel ist, in dem man per definitionem immer verliert, auch weil die verwendete Technologie komplexer ist als das Hirn derer, die sie bedienen, und ein simpler Computer, obwohl im Grunde ein Idiot, mehr Streiche spielen kann, als sein Benutzer sich vorzustellen vermag.
Kein Zweifel, man muß gegen die Verbrechen der serbischen Nationalisten einschreiten, aber vielleicht ist Krieg eine stumpfe Waffe. Vielleicht liegt die einzige Hoffnung in der menschlichen Habgier. Wenn der alte Krieg die Ka-nonenhändler reich machte und ihr Profit den vorüberge-henden Stillstand einiger kommerzieller Tauschprozesse in den Hintergrund treten ließ, stürzt der neue Krieg, auch wenn er erlaubt, einen Überschuß an Waffen abzusetzen, 53
bevor sie obsolet werden, eine Vielzahl von Industrien in die Krise: die des Luftverkehrs, des Tourismus, der Medien selbst (die Werbeeinnahmen verlieren) und allgemein die gesamte Wohlstands- und Überflußproduktion. Wenn die Waffenindustrie einen Spannungszustand benötigt, braucht die Wohlstandsindustrie Frieden. Früher oder spä-
ter wird ein Mächtigerer als Clinton und Milosevic »Basta!« sagen, und beide werden nicht zögern, ein bißchen Gesicht zu verlieren, um den Rest zu retten. Das mag traurig sein, aber es ist wahr.
1999
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II
GELIEBTE GESTADE
Italienische Binnenansichten
Wer hat für Andreotti gestimmt?
Ich bin zur Zeit in Amerika und verfolge die italienischen Ereignisse mit einem Tag Verspätung, da unsere Zeitungen hier erst am folgenden Morgen eintreffen (das Neueste er-fährt man nur, wenn man zufällig irgendwo die Abendnachrichten der RAI empfangen kann). Also sehe ich jeden Morgen die New York Times durch. Aber die berichtet, von Ausnahmefällen abgesehen, über Italienisches, wenn überhaupt, nur auf ihren zahllosen inneren Seiten, und so muß man zuerst das Verzeichnis der internationalen Nachrichten auf Seite 2 durchsehen. Am Sonntag, den 28. März, kam dort Italien nicht vor. Erst beim Blättern fand sich auf Seite 7 eine Spalte über Andreotti, wie üblich präzise und gut informiert.* Am Dienstag, den 30., suchte ich erneut nach einschlägigen Meldungen, fand aber unter den Kurztiteln des Verzeichnisses keinen über Italien, nur unten stand zwischen kleinen Notizen ohne Titel: »Der italienische Skandal, ein B-Picture-Movie, S. 10.« Demnach werden die Fortsetzungsfolgen des italienischen Dramas inzwischen nicht mehr als besondere Neuigkeiten betrachtet,
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