Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
Kommunistischen Partei in Westeuropa erzeugt, und der schritt-weise Zugang der Kommunisten zur Kontrolle der Fern-sehkanäle habe den Niedergang ihrer Partei verursacht.
Sollte unser Historiker in einer Epoche starker und barbarischer Religiosität leben, so würde er aus alledem schließen, das Fernsehen müsse das Reich des Bösen gewesen sein, ein wildes Ungeheuer, das jeden verschlang, der es zu erobern und zu reiten versuchte, oder einfacher, dieses Medium habe jedem, der auf seinen Bildschirmen erschien, schreckliches Unglück gebracht. Sollte er dagegen eher zur analytischen Vernunft und zur Formulierung wissenschaftlicher Hypothesen neigen, so wird er sagen, dieses aufdringliche Medium habe vielleicht einen gewissen Einfluß auf das Denken der Leute im Hinblick auf den Konsum gehabt, aber gewiß nicht im Hinblick auf die Leidenschaften und die politischen Entscheidungen.
Er wird sich also konsterniert fragen, warum so viele Kämpfe um den Besitz dieses Mediums geführt worden sind, und wird zu dem Schluß gelangen, die Menschen unseres Jahrhunderts hätten die Massenmedien nicht verstanden.
1993
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Die verschwimmenden Ränder
der Resistenza
Als ich ein Kind war, erzählte mir mein Vater oft von seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg, und eine der Geschichten, die mich am tiefsten beeindruckten, war die des Rückzugs von der Isonzofront im Oktober 1917. Sie waren tagelang marschiert, ohne nachts zu schlafen, und mein Vater versicherte mir, er habe nur durchgehalten, weil ein großer starker Kamerad ihm erlaubt hatte (ihm, einem schmächtigen und erschöpften Jungen), ein paar Stunden lang auf seine Schulter gestützt zu marschieren.
Mein Vater schlief mit dem Kopf und bewegte im Schlaf die Beine. Offenbar ist das möglich, wenn man überleben will.
Dann waren sie zu einer großen verlassenen Villa gekommen, sicher auf italienischem Gebiet. Als erstes hätte man nun von diesen übermüdeten Männern erwartet, daß sie sich auf die Betten warfen, auf die Teppiche oder die Tische, um sich auszuschlafen. Statt dessen begannen einige von ihnen, als hätten sie einen Feind besiegt, die Mö-
bel zu zerschlagen und die Spiegel zu zertrümmern, sie rissen die Schränke auf und ruinierten eine komplette Da-mengarderobe mit Kleidern und Unterröcken, die sie sich johlend über ihre Uniformen zogen.
Was für Leute waren diese Soldaten? Einige von ihnen, die später an die Front zurückgeschickt wurden, werden sich unter die sechshunderttausend Toten jenes Krieges eingereiht haben. Soll heißen, es waren brave Jungen, Leute wie du und ich, die sich in die militärische Disziplin gefügt hatten und von neuem gefügt haben würden. Aber 63
der Krieg ist ein wildes Tier, das jedes Moralgefühl nie-derwalzt, und wir haben im Lauf der Geschichte sonst hochherzige Kämpfer gesehen, die sich zum Plündern und Vergewaltigen hinreißen ließen. Mein Vater erzählte mir die Geschichte mit Abscheu, aber ich fühlte mich nicht be-rechtigt, jene Soldaten zu verurteilen, da ich den Rückzug von der Isonzofront nie mitgemacht habe.
Diese Dinge kommen mir in den Sinn, wenn jetzt wieder einmal – mit geradezu jahreszeitlicher Regelmäßigkeit –
Anklage gegen die Resistenza erhoben wird, wie üblich indem man beweist, daß es in ihr schlimme und schändliche Taten gegeben hat. Natürlich hat es die gegeben! Man kann doch von Leuten, die jeden Moment erschossen zu werden riskierten, nicht immer Besonnenheit und Kontrolle der Nerven verlangen, sie waren anfangs bunt zusam-mengewürfelte Banden, in die sich (wie in jedem Bürgerkrieg) allerlei Profiteure und Opportunisten einschlichen und in die manche nur gerieten, weil sie auf dieser Seite des Hügels wohnten, während sie, hätten sie auf der anderen gewohnt, vielleicht den Reizen von Mussolinis »Sozialer Republik« erlegen wären. Partisanengruppen, in denen (wie der Partisan Giorgio Bocca mehrfach betont hat) zwar viele Idealisten waren, die ihrem Begriff von Ehre folgten, aber auch einige Abenteurer und Desperados, die sich einen Gewinn versprachen. Ich war damals ein kleiner Junge und erinnere mich an beide Typen, auf beiden Seiten; und ich kann versichern, daß die Desperados kin-derleicht zu erkennen waren und oft ganz zwanglos die Seite wechselten.
Wenn jeder Krieg und erst recht jeder Bürgerkrieg solche Vermischungen und Überschneidungen erzeugt, was ist dann die Aufgabe des Historikers, der diese Dinge schon vorher weiß? Gewiß hat der Historiker alle
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