Des Abends eisige Stille
eine sehr unglückliche Frau im Haus hatte. Du brauchst dich ja nicht weiter mit ihr zu treffen, aber du musst ihr wenigstens eine Art Erklärung geben. Du kannst Menschen nicht einfach wortlos fallenlassen.«
»Ich leg jetzt auf. Sonst streiten wir beide uns noch ernsthaft.«
»Das tun wir bereits. Ich musste jetzt mal zu dir durchdringen, weil das bisher niemand anderem gelungen ist.«
»Sonst?«
»Nichts sonst. Felix ist eingeschlafen, und ich gehe jetzt ins Bett. Aber denk darüber nach, Simon. Es ist wichtig.«
Der Hörer wurde aufgelegt.
Ein paar Sekunden lang dachte er wirklich nach, bevor er von seinem Handy unterbrochen wurde.
»Serrailler.«
»Wir haben sie gefunden. Und es geht ihr gut.«
Nachdem er die Einzelheiten erfahren und Nathan gesagt hatte, er solle nach Hause gehen, schenkte sich Simon einen Whisky ein. Er wollte es auslöschen, wollte Cats Worte auslöschen, wollte die Erinnerung an Freya und die Zudringlichkeiten von Diana Mason auslöschen, einfach alles. Nur die Nachricht, dass Lucy Angus in Sicherheit war, verschaffte ihm einen gewissen Trost.
[home]
62
K ann ich einen Hund haben?«
Lucy trank einen Becher Tee. Sie wirkte gefasst.
Sie ist weggelaufen, dachte Marilyn. Sie wollte nicht mehr hier sein. Sie wollte in einem dunklen Gartenschuppen sein, der jemand anderem gehört, mit deren Hund, statt hier mit mir im Haus zu sein. Marilyn hatte sie angeschaut, als sie zwischen den beiden Constables die Einfahrt heraufgekommen war, mit einer großen Decke um ihre Schultern, und hatte jemanden gesehen, den sie kaum kannte.
»Sei nicht böse, bitte sei nicht böse.« Lucy hatte zu zittern begonnen.
»Natürlich bin ich nicht böse. Du bist hier, du lebst … Ich könnte gar nicht …«
Lucy war an ihrer Mutter vorbei in die Küche gegangen.
Es war zehn nach eins. Sie wollten beide nicht schlafen.
»Einen Hund?«
»Du hast es uns nie erlaubt.«
»Das ist schwierig … Es wäre nicht fair.«
»Warum nicht?«
»Dem Hund gegenüber, wenn er den ganzen Tag allein ist. Wir sind … Ich bin nicht da.«
»Nichts ist wie früher.«
»Nein.«
»Also, können wir einen Hund haben?«
»David ist allergisch gegen Tierhaare.«
Lucy sah ihr in die Augen.
Ein Moment erschrockenen Schweigens entstand.
»David ist nicht da«, sagte Lucy schließlich.
Die Luft in der Küche schien etwas zu enthalten, das einem das Atmen schwermachte.
»Dad ist nicht da. Alles im Haus war tot.«
»Ich war nicht tot.«
»Kam mir aber so vor.«
»O Gott.«
»Bei dem Hund der Prices war es schön.«
»Du hättest nicht einbrechen sollen.«
»Ich bin nicht eingebrochen, die Tür von der Werkstatt ist offen. Warum antwortest du mir nicht? Das tust du nie. Als wär ich nicht da. Können wir einen Hund haben?«
»Lucy, lass mich … bitte … ich bin müde. Ich mag keine plötzlichen Entscheidungen treffen.«
»Wenn du nein meinst, dann sag es, aber antworte mir wenigstens.«
»Ich meine nicht nein. Ich weiß nicht, was ich meine. Ich konnte das alles nicht mehr ertragen. Hast du daran nicht gedacht? Hast du überhaupt an mich gedacht?«
»Ja«, erwiderte Lucy.
Sie stand auf, trug ihren Becher zur Spüle, wusch ihn aus und stellte ihn in den Geschirrkorb.
»Ich hab an dich gedacht. Gute Nacht.«
»Lucy, geh nicht einfach so, wir haben noch nicht richtig geredet, du hast nichts erklärt.«
»Doch, hab ich. Du hast mir nur nicht zugehört. Genau wie mit dem Hund.«
Sie ging hinaus, bewegte sich auf diese neue Art, bei der ihre Füße über den Boden zu gleiten schienen, ohne ein Geräusch zu machen oder die Luft aufzuwirbeln. Sie stieg die Treppe hinauf. Das Haus wirkte immer noch tot, aber etwas hatte sich verändert. Sie hatte es durch ihr Weglaufen verändert, hatte ein Zeichen gesetzt.
Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen, erklomm dann die letzte Treppe bis ganz nach oben. Dort stieß sie die Tür zu Davids Zimmer auf. Es roch nach ihm, ein Jungsgeruch, der bisher nicht verflogen war. Aber er wird verfliegen, dachte Lucy. Alles wird bald verblassen. Ich werde mich nicht mehr an ihn erinnern, sein Geruch wird nicht mehr da sein, nur seine Sachen werden auf den Regalen liegen, und das sind tote Sachen.
Leise ging sie herum, berührte sie. Seine Bücher. Seine Modelle. Seinen Computer. Seine Harry-Potter-Lampe. Seine Herr-der-Ringe-Figuren. Seine Schuhe. Sie fragte sich, ob alles hier für immer so bleiben würde, wie ein Schloss voll schlafender Menschen aus einem Märchen.
Fast von
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