Des Abends eisige Stille
haben.«
Simon schloss die Tür des Wagens und ging zurück zum Haus der Angus. Die Männer von der Spurensicherung in ihren weißen Anzügen hatten das ganze Haus untersucht, kamen aber jetzt allmählich wieder heraus, als Simon das Tor erreichte.
»Was gefunden?«
Simon hatte bei einer Reihe von Fällen mit Phil Gadsby zusammengearbeitet und hielt ihn für den Besten der ganzen Polizeitruppe. Wenn es Spuren zu finden gab, dann fand Phil sie.
»Sie war in ihrem Zimmer. Sie trug Jeans und ein Sweatshirt. Sie hat ihren Regenmantel mitgenommen. Ich glaube, sie ist durch die Küche in den Abstellraum gegangen. Sie hat was zu essen mitgenommen. Sie ist freiwillig gegangen. Es gibt keine Kampfspuren, kein Blut, keine fremden Fingerabdrücke. Im ganzen Haus nicht.«
»Das dachte ich mir schon. Irgendwas im Garten?«
»Wir kommen morgen früh wieder, nehmen uns auch alle Nachbargärten vor. Im Moment ist das alles.«
Simon ging zur Haustür. In allen Räumen brannte Licht, der Rest der Spurensicherungsmannschaft war abfahrbereit. Er wartete, bis sie gegangen waren und die Busse sich entfernt hatten. Es wurde still, obwohl die Uniformierten immer noch von Haus zu Haus gingen. Er dachte, wie anders es sein würde, wenn sich das alles in der Dulcie-Siedlung abgespielt hätte – alle würden draußen auf der Straße stehen oder an Türen und Fenstern, Kinder würden den Beamten folgen, Frauen ihnen etwas zurufen; jemand würde ihnen wahrscheinlich sogar Becher mit Tee bringen. Hier blieben die Vorhänge und Jalousien zugezogen. Ein oder zwei Nachbarn hatten hinausgeschaut, als die Streifenwagen eintrafen, aber sie waren alle unbewegt in ihren Häusern geblieben, als wäre nichts passiert. Jetzt gingen Lichter aus. Niemand stand im Türeingang und blickte hinaus, und es wäre keinem in den Sinn gekommen, Tabletts mit Tee anzubieten.
Aber an der Tür zum Haus der Angus zögerte er. Wenn Marilyn Angus im Moment als »sehr durcheinander« beschrieben wurde, würde es ihr vermutlich nicht helfen, Simon zu sehen, den Menschen, den sie vielleicht mehr als alle anderen mit Davids Verschwinden in Verbindung brachte. Er hatte keine Neuigkeiten, konnte ihr nichts bieten. Andere hatten ihr heute Abend schon genug Fragen gestellt.
Er kehrte wieder um.
Es war eine sanfte, milde Nacht, und die Gärten rochen nach frisch gemähtem Gras und umgegrabener Erde. Nach Frühling. Er versuchte sich die beiden Kinder vorzustellen, das eine mit Sicherheit tot, das andere möglicherweise noch am Leben. Wie wurde eine Frau mit dem wochenlangen Verschwinden ihres Sohnes, dem Selbstmord ihres Mannes und nun auch noch mit der Tatsache fertig, dass ihr zweites Kind vermisst wurde? Es war einer der Momente, in denen er die Polizeiarbeit qualvoll fand.
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60
S ie hatte befürchtet, dass Archie bei ihrem Eintreffen an der Werkstatt bellen würde, also hatte sie schon leise seinen Namen gerufen, während sie durch den dunklen Garten ging. Er stand wartend da, wedelte mit dem Schwanz und drängte sich beim Hineingehen an sie. Lucy stellte ihre Tasche auf die Werkbank und setzte sich neben Archie auf den Boden, und der Labrador legte sich hin und leckte ihr die Hände. Er roch nach Hund, und sein Körper war warm und sehr schwer.
Erst als sie sich sicher fühlte, hier bei ihm, gestattete sie sich nachzudenken. Ihre Mutter würde nach oben gehen, die Zimmertür öffnen und gute Nacht sagen oder auch nur aus dem Flur rufen. Davor war sie immer hereingekommen. Sie hatten miteinander geredet. Es war fast die schönste Zeit des Tages gewesen. Davor.
Der Hund richtete sich auf und schnupperte mit seiner feuchten Nase an ihrem Gesicht.
Davor hatte sie gewusst, dass David der Wichtigere war, Geliebtere, Interessantere für ihre Eltern, aber das hatte ihr nichts ausgemacht. Es hatte gestimmt. Er war interessant und liebenswert. Aber als er weg war, hätte sie den Platz einnehmen sollen, den er freigemacht hatte, und stattdessen war sie immer weiter weggeschubst worden, bis sie am Ende unsichtbar war.
Sie hatte das Haus geliebt. Jetzt hasste sie es. Überall lag diese dicke, graue Stille, als wären seit dem Tag keine Luft und kein Licht mehr eingedrungen. Nur ihr eigenes Zimmer war unverändert, und darum war sie dortgeblieben.
Sie griff nach ihrer Tasche und holte die Kekse heraus, obwohl sie nicht hungrig war. Aber sie hatte sie mitgebracht, und daher mussten sie gegessen werden, und außerdem hatte sie dadurch etwas zu tun. Nachdem sich ihre
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