Des Rajahs Diamant
sein Bruder John, ein Abenteurer sondergleichen, der beste Kenner von Edelsteinen und einer der scharfsinnigsten Diplomaten Europas. Haben Sie niemals von seinem Zweikampf mit dem Herzog von Orges, von seinen Taten und Grausamkeiten als Diktator von Paraguay, von seiner Geschicklichkeit beim Aufspüren der Juwelen des Barons Levi oder von seinen Diensten beim indischen Aufstand gehört – Dienste, die der Regierung zugute kamen, die aber die Regierung nicht zu vertreten wagte? Es ist schwer zu sagen, ob John Vandeleur mehr berühmt oder mehr berüchtigt ist, auf beides hat er überreichen Anspruch. Gehen Sie hinunter,« fuhr er fort, »setzen Sie sich an einen Tisch in ihrer Nähe und halten Sie Ihre Ohren offen! Sie werden manches Sonderbare hören, oder ich müßte mich sehr täuschen.«
»Aber woran soll ich sie erkennen?« fragte der Geistliche.
»Sie erkennen!« rief der Freund. »Nun, der Prinz ist der schönste Gentleman in Europa, der einzige Mensch, der wie ein König aussieht; und was John Vandeleur betrifft, so denken Sie sich einen siebzig Jahre zählenden Odysseus, mit einem Säbelschmiß quer übers Gesicht, und Sie haben Ihren Mann vor sich. Die sind leicht zu erkennen! Man könnte sie ohne Schwierigkeiten aus einer Jahrmarktsmenge herausfinden!«
Eiligst begab sich Rolles ins Speisezimmer. Es war, wie ihm sein Freund versichert hatte, mankonnte das fragliche Paar unmöglich verkennen. Der alte John Vandeleur besaß einen auffallend kräftigen, offenbar äußerst gewandten Körper. Seine Züge waren kühn und adlerartig, sein Ausdruck anmaßend und habsüchtig, seine ganze Erscheinung verriet einen raschen, heftigen, durch keine Rücksicht gehemmten Mann der Tat, und sein üppiges weißes Haar und die Säbelfurche, die über seine Nase und Schläfe lief, gaben dem schon an und für sich auffallenden und herausfordernden Gesicht noch einen besonderen Anstrich von Wildheit.
In seinem Begleiter, dem böhmischen Prinzen, erkannte Rolles zu seiner Überraschung den Herrn, der ihm Gaboriaus Werke empfohlen hatte.
Die Unterhaltung war in der Tat für die Ohren des am nächsten Tische sich niederlassenden Gottesmannes neu. Der Exdiktator von Paraguay erzählte von seinen zahlreichen außerordentlichen Erlebnissen in verschiedenen Weltgegenden, und der Prinz gab einen Kommentar dazu, der für einen Mann von Geist noch fesselnder war als die Ereignisse selbst.
Schließlich kam die Rede auch auf die großen Diebstähle der jüngsten Zeit und auf den Diamanten des Rajahs.
»Dieser Diamant ruhte besser auf dem Grunde des Meeres,« bemerkte Prinz Florisel.
»Eure Hoheit können sich denken,« versetzte der Diktator, »daß ich als ein Vandeleur abweichender Meinung bin.«
»Ich sage dies in Hinsicht auf das allgemeine Wohl,« erklärte der Prinz. »So kostbare Edelsteinesollten nur in fürstlichen Sammlungen oder öffentlichen Schatzkammern zu finden sein. Sie im Besitze gewöhnlicher Sterblicher belassen heißt einen Preis auf die Tugend setzen; und wenn der Rajah von Kaschgar, der ein höchst erleuchteter Fürst sein soll, den Wunsch hatte, sich an den Europäern zu rächen, so hätte er schwerlich etwas Wirksameres tun können, als indem er diesen Apfel der Zwietracht unter uns warf. Der Ehrlichste widersteht einer solchen Versuchung nicht. Ich selbst, der sich vieler besonderen Vorrechte erfreut, Herr Vandeleur, könnte mich kaum, wenn ich den wunderbaren Stein in Händen hätte, von seinem berauschenden Einflusse frei halten. Und von Ihnen, einem Diamantenjäger aus Neigung und Beruf, glaube ich, gibt es überhaupt kein Verbrechen, vor dem Sie zurückschrecken würden – ich glaube, Sie haben keinen Freund auf der Welt, den Sie nicht darum verrieten, – ich weiß nicht, ob Sie Familie haben, aber wenn es der Fall ist, so erkläre ich, Sie würden Ihre Kinder opfern – und dies alles wofür? Nicht um reicher zu sein, nicht um ein bequemeres Leben oder größere Achtung zu gewinnen, sondern einzig zu dem Zwecke, diesen Diamanten ein oder zwei Jahre, bis zu Ihrem Tode, Ihr Eigentum zu nennen und hin und wieder Ihren Geldschrank zu öffnen und sich den Stein anzusehen, wie man ein Bild anschaut.«
»Es ist wahr,« gab Vandeleur zurück. »Gar vielem habe ich nachgejagt, von Männern und Frauen bis herab zu Moskitos; als Korallenfischer tauchte ich tief in das Meer; ich habe Walfischen wie Tigernnachgestellt, aber ein Diamant lohnt von allem am meisten die Mühe. Er ist schön und kostbar, er allein
Weitere Kostenlose Bücher