Des Rajahs Diamant
wenig reizvoll erschienen, und er sah mit Verachtung auf seine Bücherschätze herab. Verschiedene Kirchenväter nahm er, Band für Band, herunter und sah sie schnell durch, aber sie enthielten offenbar nicht das, was er suchte.
Diese uralten Herren, dachte er, waren zweifellos große Kirchenlichter, aber vom Leben verstanden sie, wie mir scheint, blutwenig. Mit allen meinen Kenntnissen, die für einen Bischof vollauf genügend wären, weiß ich nicht einmal, wie ich den gestohlenen Diamanten verwerten soll. Ich bin froh, von einem gewöhnlichen Polizisten einen Fingerzeig zu erhalten, und mit allen meinen Folianten bin ich nicht einmal imstande, ihm Folge zu leisten. Das läßt mich von dem Wert der Universitätsbildung sehr gering denken.
Darauf stellte er die Bücher an ihren Platz, setzte seinen Hut auf und begab sich eilends in den Klub, dessen Mitglied er war. An dieser Stätte weltlicher Erholung hoffte er einen lebensklugen, vielerfahrenen Mann zu finden, der ihm einen guten Rat geben könnte. Im Lesezimmer traf er viele Landgeistliche und einen Dekan; drei Zeitungsschreiber und ein philosophischer Schriftsteller spielten Pool, und bei Tisch zeigten sich die gewöhnlichen nichtssagenden Gesichter der ihm bekannten Klubtreter. Keinem von allen diesen traute Herr Rolles eine größere Vertrautheit mit einem etwas bedenklichen Thema zu, als er sie selbst besaß, keinem die Fähigkeit, ihm in seiner augenblicklichen Not als Rater und Führer zu dienen. Schließlich traf er ganz oben im Rauchsaaleinen stattlichen Herrn in auffallend einfacher Kleidung. Er rauchte eine Zigarre und las eine Wochenschrift; sein Gesicht legte offenbar Zeugnis ab von einem vorurteilslosen und sehr lebhaften Geiste; auch fand Herr Rolles in seinen Zügen etwas Vertrauenerweckendes und Hoheitsvolles. Je forschender sich der junge Mann in sein Gesicht vertiefte, um so mehr gewann er die Überzeugung, den Mann gefunden zu haben, der ihm den rechten Rat geben könnte.
»Mein Herr,« sagte er, »entschuldigen Sie meinen Freimut; aber nach Ihrem Aussehen glaube ich, daß Sie mehr als ein anderer ein Mann der Welt sind.«
»Auf diese Bezeichnung habe ich in der Tat gegründeten Anspruch,« erwiderte der Fremde, indem er die Zeitschrift mit einem halb erstaunten und halb spöttischen Blick aus der Hand legte.
»Ich bin,« fuhr der Theologe fort, »ein Klausner, ein Gelehrter, ein Kind der Tintenflaschen und Folianten. Ein Ereignis jüngster Zeit hat mir meine Torheit in weltlichen Dingen lebhaft vor Augen gestellt, und ich möchte Lebensweisheit gewinnen. Welchen Weg weisen Sie mir?«
»Sie bringen mich in Verlegenheit,« sagte der Fremde. »Doch können Sie vielleicht aus Gaboriau einen kleinen Begriff von Welt und Leben bekommen.«
Herr Rolles dankte dem Fremden und kaufte sich auf dem Heimwege ein Werk über Edelsteine und ein paar Romane von Gaboriau. Das Lesen dieser Romane brachte ihn wirklich auf einen nutzbarenGedanken. Als er von einem Manne las, der alle möglichen Fertigkeiten selbst besaß und dadurch alle Schwierigkeiten überwand, rief er plötzlich aus: »Himmel, ist das nicht eine Lehre für mich? Muß ich nicht ebenfalls selbst Diamanten schneiden lernen?«
Es fiel ihm ein, daß er einen Goldschmied in Edinburg kenne, der ihn gerne in den nötigen Handgriffen unterweisen würde; in ein paar Monaten, vielleicht Jahren niedriger Arbeit hoffte er genug Handfertigkeit erworben zu haben, um den Diamanten zerteilen zu können, und genug Erfahrung, um ihn mit Vorteil an den Mann zu bringen. Darauf könnte er seine Forschungen in aller Muße als reicher, von allen beneideter und geachteter Gelehrter fortsetzen. Goldene Träume umgaukelten ihn, als er sich zum Schlummer niederlegte, und erfrischt und frohgemut erwachte er mit der Morgensonne.
Herrn Raeburns Haus sollte an diesem Tage polizeilich geschlossen werden, und das diente dem jungen Mann als Vorwand zur Abreise nach Edinburg. Munter packte er seinen Koffer, brachte ihn zum Bahnhof und begab sich dann zum Klub, um hier den Nachmittag zu verbringen und zu speisen.
»Wenn Sie heute hier essen wollen,« bemerkte ein Bekannter zu ihm, »können Sie zwei der bemerkenswertesten Männer Englands sehen, den Prinzen Florisel von Böhmen und den alten John Vandeleur.«
»Vom Prinzen habe ich gehört,« versetzte Herr Rolles, »und den General Vandeleur habe ich sogar in Gesellschaft kennengelernt.«
»Der General Vandeleur ist ein Esel,« entgegnete der andere. »Das hier ist
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