Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
die sie möglichst exakt messen
und dann archivieren. Bleibt man bei dieser Logik, dann müssen die Wirtschaftspolitiker diese Schwankungen der wirtschaftlichen
Aktivität jedenfalls nicht für allzu bedeutsam halten und sollten deshalb auch nicht versuchen, sie durch Konjunkturpolitik
zu bekämpfen.
Diese Linie konnte sich auf die vorherrschende ökonomische Lehre berufen, die diese Sichtweise seit Mitte der 1970er Jahre
immer wieder zur Grundlage ihrer wirtschaftspolitischen Beratung gemacht hatte. Damals war die zuvor dominierende keynesianische
Lehre in eine tiefe Krise geraten.
Der erste Ölpreisschock führte 1973 in eine tiefe Rezession und darüber hinaus zu enormen Inflationsraten und einer extrem
hohen Staatsverschuldung. Die letzten Erfahrungen mit solchen Herausforderungen lagen vor dem Zweiten Weltkrieg. Das gleichzeitige
Auftreten von hoher Arbeitslosigkeit und hoher Inflation brachte die damals gängige Lehre, den Keynesianismus, in eine paradoxe
Situation: Die Arbeitslosigkeit musste durch eine stimulierende Wirtschaftspolitik bekämpft werden, während die Inflation
eher nach bremsenden Instrumenten verlangte. Dieser Konflikt wurde zugunsten der Bekämpfung der Rezession entschieden. Aus
jener Zeit stammt die Aussage des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, dass ihm 5 Prozent Inflation lieber seien als 5
Prozent Arbeitslosigkeit. Trotz dieses markigen Bekenntnisses war jedoch unverkennbar, dass der Niedergang des Keynesianismus
eingesetzt hatte. Er war anscheinend nicht in der Lage, Inflation und Arbeitslosigkeit gleichzeitig zu bekämpfen, und führte
außerdem dazu, dass der Staat immer tiefer in eine Schuldenfalle geriet. Meiner Meinung nach lag dies daran, dass diese Denkrichtung
sich in einseitiger Weise verhärtet hatte. Anstatt permanent nur auf die Nachfrage zu schauen, hätten die Keynesianer damals
auch die Angebotsbedingungen mit in den Blick nehmen müssen. Zu Beginn der Ölkrise herrschte weitgehend Vollbeschäftigung.
Unter diesen Umständen die Nachfrage zu stimulieren konnte am Ende nur zur Inflation führen und hatte im Übrigen mit den Gedanken
von |17| Keynes nicht viel zu tun. 1* 1 So konnte die Inflation jedenfalls nicht bekämpft werden.
Es war Zeit für ein neues Heilmittel. Eine damals aufsteigende Theorierichtung, die als Neuklassik bezeichnet wird 2* , schien besser dafür geeignet zu sein, die Inflation zu stoppen. Sie begründete aus einzelwirtschaftlich rationalem Verhalten,
bei dem alle Akteure jederzeit nach ihrem maximalen Gewinn oder Nutzen streben, dass Märkte in sich stabil sind. Anders als
vom Keynesianismus postuliert bedürften diese Märkte keiner Stabilisierungspolitik seitens des Staates. Dieser vermöge letztlich
nicht besser zu stabilisieren, als die Märkte es aus eigener Kraft könnten. Er erzeuge durch die vergebliche Bekämpfung der
Rezession mit hohen staatlichen Finanzmitteln zudem auf längere Sicht nichts anderes als eine unerträglich hohe Staatsverschuldung
und Inflation. Besser sei es, das Marktsystem sich selbst zu überlassen und auf dessen eigene Stabilisierungsfähigkeit durch
flexible Löhne und Preise sowie im internationalen Handel auf flexible Wechselkurse zu vertrauen. So weit die verlockende
Theorie. Die Niederlage des Keynesianismus blieb nicht ohne Folgen für die keynesianische Lehre; sie änderte sich gleichfalls.
Es entstand der Neukeynesianismus. 2 Er übernahm die neuklassische Methodik, gesamtwirtschaftliche Phänomene aus einzelwirtschaftlich rationalem Verhalten herzuleiten.
Der wesentliche Unterschied zur Neuklassik besteht darin, dass im Neukeynesianismus Märkte nicht als vollkommen stabil angesehen
werden. Löhne und Preise seien aufgrund von Anpassungskosten und Informationsproblemen nicht hinreichend flexibel, um dieser
Aufgabe jederzeit und mit hoher Geschwindigkeit gerecht zu werden. Das ist aber nur ein eher gradueller Unterschied, über
dessen Bedeutung es auch innerhalb des Neukeynesianismus verschiedene Meinungen |18| gibt. Während manche kaum eine Divergenz zur Neuklassik ausmachen und folglich auch jede Form von Stabilisierungspolitik weitgehend
ablehnen, betonen andere deren Notwendigkeit. 3
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn sich in den vergangenen Jahren ein Art Konsens herausgebildet hat. Der sogenannte »Wa shington-Konsens « ist nach dem Sitz des Internationalen Währungsfonds (IMF) benannt. 4 Der IMF vertrat bis vor Kurzem gegenüber
Weitere Kostenlose Bücher