Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
der Krise alles richtig gemacht wurde. Mehr noch: Eigentlich
war man doch nicht streng genug mit der eigenen Bevölkerung, oder? Die Verschuldungsregeln für den Staat hätten noch strikter
sein sollen und man hätte den Kündigungsschutz noch flexibler gestalten müssen.
In wohl keinem anderen Satz spiegelt sich dieses Denken besser wider als in der Aussage, die von den Spitzen unseres Staates
– dem |14| ehemaligen Bundespräsidenten Köhler, der Bundeskanzlerin und dem Bundesbankpräsidenten Weber – immer und immer wieder zu hören
ist: »Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.« Mit diesem Satz sollen breite Kürzungen im Sozialbereich und eine Fortsetzung
des ökonomischen Drucks auf weite Kreise der Mittel- und Unterschicht erklärt und vorbereitet werden. Wen aber meinen all
diese Menschen eigentlich mit dem »Wir« – wer soll da über seine Verhältnisse gelebt haben? Und, falls wir uns angesprochen
fühlen, was haben »wir« eigentlich getan? Darüber möchte ich gerne reden. Und auch darüber, dass genau diese Politik, dieses
Festhalten am Nicht-Bewährten, bereits den Keim für die nächste Krise gelegt hat. Ich bin mir ganz sicher: Nur eine scharfe
Wende im ökonomischen Denken und im wirtschaftspolitischen Handeln kann verhindern, dass diese ungute Saat aufgeht.
Blick zurück im Zorn: unsere verfehlte Wirtschaftspolitik
Schon lange hatte es beunruhigende Signale gegeben, doch dass dem Weltfinanzsystem im September 2008 der unmittelbare Zusammenbruch
drohte, hatten die meisten Ökonomen nicht vorhergesehen. Es war ein echter Schock. Eigentlich war es sogar unvorstellbar.
Doch der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers erschütterte die Finanzwelt in ihren Grundfesten. Der Blick in den
Abgrund vermittelte vor allem eines: eine tiefe und fundamentale Unsicherheit. Sie wurde noch verstärkt durch die Ratlosigkeit
der politischen Akteure. Sie wussten einfach nicht, wie sie mit dieser dramatischen Situation umgehen sollten. Die gängigen
Vorstellungen der ökonomischen Wissenschaft waren gescheitert.
Der Absturz der Volkswirtschaften in die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zwang die Wirtschaftspolitik im Herbst 2008,
sich mit ökonomischen Realitäten auseinanderzusetzen, die in der ökonomischen |15| Wissenschaft und damit auch in der wirtschaftspolitischen Beratung so nicht vorgesehen waren. Zunächst herrschte eine gewisse
Ratlosigkeit vor, aus der sich dann aber doch eine neue Dynamik entwickelte. Die Dinge kamen in Bewegung. Es bildete sich
allmählich eine neue Sichtweise auf das wirtschaftliche Geschehen heraus – eine Entwicklung, die sicherlich wirtschaftspolitischen
Nöten und Notwendigkeiten geschuldet war. Diese ökonomische Zeitenwende wird nach wie vor von den drängenden Fragen der Wirtschaftspolitik
angetrieben. Ihre Entstehung, die zwangsläufig eine Geschichte der Wirtschaftspolitik dieser Zeit ist, möchte ich in diesem
Kapitel skizzieren. Daraus lassen sich wertvolle Erkenntnisse ziehen: Wir werden sehen, wie die Wirtschaftspolitik sich grundlegend
ändern muss, um die globale Wirtschaft in Zukunft krisensicherer zu machen.
Wirtschaftspolitische Wende in den Siebzigern
Alles schien auf einem guten Weg zu sein. Das, was die (meisten) Ökonomen vom Wesen der Marktwirtschaft halten, ist durchaus
optimistisch. Im Kern gehen die gängigen Vorstellungen davon aus, dass Märkte, wenn sie ungehindert funktionieren, nicht nur
optimale Ergebnisse liefern, sondern dass sie auch stabil sind. Auf wohlfunktionierenden Märkten werden alle Wünsche für Käufe
und Verkäufe bei gegebenen Preisen erfüllt. Die Marktteilnehmer sind zufrieden und es wird nichts vergeudet. Der Markt ist
also effizient. Auch unerwartete Ereignisse wie ein besonders steiler Anstieg der Produktion oder ein plötzliches Abfallen
der wirtschaftlichen Aktivität können diese Idylle nicht nachhaltig stören. Sie werden, lässt man den marktwirtschaftlichen
Kräften nur genug Raum, dank flexibler Preise und Löhne relativ rasch bewältigt, ohne nachhaltige Spuren zu hinterlassen.
Man interpretiert sie als konjunkturelle Beulen und Dellen, die keine weitere Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung
haben. Schon gar nicht vermögen sie die Grundfesten der Volkswirtschaft zu erschüttern. Es ist daher nur folgerichtig, solche
Schwankungen |16| eher als ein Problem für die Wirtschaftsstatistiker und Wirtschaftshistoriker zu verstehen,
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