Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
seinen Mitgliedsstaaten genau diese Politik. Im Grundsatz geht man dabei von der
Stabilität der Märkte aus. Zeitweilige Störungen, die nicht ausgeschlossen werden, sollten im Wesentlichen durch Automatismen
in der Finanzpolitik wie zum Beispiel die gesetzlich geregelte Zahlung von Arbeitslosengeld oder, falls nötig, durch die von
Tagespolitik unabhängige Geldpolitik bekämpft werden. Für Konjunkturprogramme und ähnliche Einzelentscheidungen der Finanzpolitik
gibt es in dieser Lehre keinen Raum. Damit wird Wirtschaftspolitik im Kern als Störfaktor für ein reibungsloses Funktionieren
der Märkte angesehen.
Probleme treten nach dieser vorherrschenden Lehre in einem marktwirtschaftlichen System nur dann auf, wenn Märkte an ihrer
freien Entfaltung gehindert werden. Gerne werden immer wieder rechtliche Vorschriften als aussagekräftiges Beispiel genannt,
um diese These zu stützen. Insbesondere rechtliche und tarifvertragliche Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt wurden in Deutschland
als ein maßgebliches Hemmnis für wirtschaftliche Dynamik angesehen und entsprechend bekämpft. Aber auch auf den Finanzmärkten
wurden in Kontinentaleuropa und vor allem in Deutschland beschränkende Vorschriften gelockert, um der zuvor vermeintlich gebremsten
Dynamik dieser Märkte freien Lauf zu lassen.
Die scheinbar moderne Wirtschaftspolitik von Rot-Grün
Die Wirtschaftspolitik in Deutschland hinkte in dieser Hinsicht den internationalen Tendenzen sogar hinterher. Die Regierungen
unter |19| Thatcher in Großbritannien und Reagan in den USA in den 1980er Jahren hatten ein klares wirtschaftspolitisches Profil. Der
Markt, der – angeblich oder tatsächlich – durch staatliche Fesseln oder gewerkschaftliche Machtpositionen stranguliert war,
musste von diesen Fesseln befreit werden. Gerade dieses angelsächsische Modell, das vermeintlich deutlich höhere Wachstumsraten
erzeugte als das kontinentaleuropäische und vor allem der in Deutschland praktizierte rheinische Kapitalismus, der auf der
Zusammenarbeit der Sozialpartner (Unternehmen und Gewerkschaften) basierte, wirkte höchst attraktiv. Also nahm die Wirtschaftspolitik
in anderen Ländern es sich zum Vorbild. Dies war der Beginn des Aufstiegs neoliberaler Wirtschaftspolitik in Deutschland,
die die Kooperation der Sozialpartner als ein Relikt der Nachkriegszeit betrachtete. Alles, was zählte, war der Markt.
Gegen Ende der Ära Kohl machten sich selbst Parteien wie die SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die zuvor eine durchaus kritische
Haltung zum ungehinderten Wirken der Marktkräfte an den Tag gelegt hatten, mehrheitlich zu Fürsprechern einer »modernen« Wirtschaftspolitik
(Bundeskanzler Schröder), die den ungehinderten Marktkräften eine entscheidende Rolle einräumte. Im Zuge eines auch von der
britischen Labour-Partei vertretenen dritten Wegs sollten die Marktkräfte genutzt werden, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen
und umweltpolitische Ziele zu erreichen. Man betrachtete das als mächtiges Gegenbild zu einer verkrusteten Wirtschaftspolitik
der Regierung Kohl, deren Untätigkeit und Konsenssucht jeden wirtschaftspolitischen Aufbruch behinderte. Politisch entstand
in dieser Zeit ein Bündnis, in dem sich die Gegner des rheinischen Kapitalismus mit politischen Linken und Linksliberalen
zusammentaten. Die Linke versöhnte sich mit der Marktwirtschaft. Die kritischen Debatten der unmittelbaren Nachkriegszeit
und der 1970er Jahre, als sich im Gefolge der 68er-Umwälzungen ebenfalls eine sehr marktkritische Haltung entwickelte, gehörten
damit der Vergangenheit an. Eine neue Ära begann. Wie die Bundestagswahl 1998 zeigte, war dieses Bündnis von linker Politik
und neoliberaler Wirtschaftspolitik |20| durchaus eine mehrheitsfähige Konstellation. Daran änderte auf Dauer auch die kritische Haltung des kurzzeitigen Finanzministers
und SPD-Parteivorsitzenden Lafontaine und seiner Anhänger nichts. Sie blieben nicht lange in ihren Ämtern. Damit war der Weg
frei für den Durchbruch einer Wirtschaftspolitik, die den ungehinderten Kräften des Marktes mehr Raum gab.
Man kann die nachfolgende Zeit auch als eine Phase des linken Neoliberalismus verstehen, in der sich linke politische Inhalte
wie die Verweigerung der Teilnahme am Irakkrieg oder der Ausstieg aus der Atomindustrie mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik
paarten. Angefeuert wurde das Ganze von einer Opposition, die einen immer noch radikaleren
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