Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
neoliberalen Kurs einforderte.
Das führte zu einer Wirtschaftspolitik mit massiven Steuersenkungen für Unternehmen und Gutverdiener, Deregulierungen und
Privatisierungen auf den Güter- und Finanzmärkten sowie Kürzungen in der Rentenversicherung. Der Schwerpunkt der Maßnahmen
war eine ausgeprägte Deregulierung des Arbeitsmarktes durch erleichterte Zulassung von geringfügiger Beschäftigung, befristete
Verträge und Zeitarbeit. Die Vermittlung von Arbeitslosen sollte effizienter werden, und man wollte die Anreize für Arbeitslose,
Arbeit anzunehmen, verbessern. Dies wurde in Anknüpfung an ganz andere Vorstellungen aus den 1970er Jahren als eine Politik
der »Reformen« bezeichnet – vermutlich, um sich auch sprachlich vom ökonomischen Stillstand der letzten Jahre der Regierung
Kohl abzugrenzen. Wenn es in jener Zeit eine wirtschaftspolitische Ikone gab, dann war es ein möglichst junger und intelligenter
Finanzinvestor, der mühelos mit komplexen Wertpapieren global agiert und horrende Gewinne einfährt. Auf diese Weise kommt
er nicht nur zu privatem Reichtum, nein, er erfüllt darüber hinaus auch eine geradezu gemeinnützige Aufgabe – dass überall
und zu jeder Zeit Kapital zur Verfügung steht. Das alles geschieht auf einem Markt, der wie kein zweiter Modernität ausstrahlt:
keine schmutzige Industrieproduktion, sondern saubere Dienstleistung; keine alten Maschinen, sondern das Internet.
|21| All das befand sich im Einklang mit der vorherrschenden ökonomischen Lehre. Die Wissenschaftler kritisierten allenfalls die
in ihren Augen zu zögerliche Vorgehensweise der Wirtschaftspolitik. Diese Ungeduld teilten sie mit den meisten Medien, die
ansonsten den vorherrschenden wirtschaftspolitischen Kurs mit unverhohlenem Wohlwollen begleiteten.
Der amerikanische Nobelpreisträger für Ökonomie Robert Solow hat in diesem Kontext einmal geschrieben, dass eine Ökonomie
»the high road or the low road« zu mehr Beschäftigung nehmen könne. 5 Die Wirtschaftspolitik könne die Schwerpunkte entweder so setzen, dass möglichst viele gut qualifizierte und sozial abgesicherte
Stellen entstehen, oder sie legt den Schwerpunkt so, dass die Anzahl der Jobs maximiert wird, ohne Rücksicht auf deren Qualität.
Im ersten Fall (»high road«) werden zwar Anreize zur Ausweitung der Beschäftigung gesetzt, es gibt aber Auflagen im Hinblick
auf die soziale Sicherung und er ist mit Qualifizierungsmöglichkeiten für die Einzustellenden verbunden. Auf diese Weise sollen
qualifizierte und vor allem gut bezahlte Jobs entstehen, die dann ein hohes Steueraufkommen generieren und aufgrund guter
Einkommen kräftige Nachfrageimpulse auslösen. Diese Impulse sollen wiederum dazu beitragen, die Binnenwirtschaft zu beleben.
Die »low road«, von der Solow spricht, sieht anders aus. In diesem Fall werden Anreize für neue Jobs vor allem dadurch geschaffen,
dass beschränkende Vorschriften zur sozialen Sicherung abgeschafft oder aufgeweicht werden. Auf diese Weise sollen möglichst
viele Stellen geschaffen werden, unabhängig von deren Qualität.
Während die erste Strategie vor allem in den skandinavischen Ländern bevorzugt wurde, folgten sowohl die USA als auch Deutschland
eher dem letzteren Pfad. Die Konsequenzen der jeweiligen Strategie liegen auf der Hand: Während die erste Strategie eine starke
Tendenz zu einer egalitäreren Einkommensverteilung begründet, trägt die zweite zu einer merklich gespreizten Verteilung der
Einkommen bei. Aber das ist ja, folgt man der gängigen ökonomischen Lehrmeinung, durchaus gewollt. Nicht mehr die Bekämpfung
der Armut steht im Mittelpunkt wirtschaftspolitischer Anstrengungen, sondern die Förderung |22| des Reichtums. Reichtum wird schick – und geht zulasten einer breiten Bevölkerungsschicht, die nicht daran beteiligt ist.
Um die Dynamik des wirtschaftspolitischen Umbruchs zu Beginn des neuen Jahrhunderts zu verstehen, muss man etwas über die
damaligen wirtschaftlichen Hintergründe wissen. Die wirtschaftliche Lage war in Deutschland zwischen 2001 und 2005 alles andere
als gut. Wie in allen anderen großen Industrienationen war die Wirtschaft auch in Deutschland im Verlauf des Jahres 2000 in
eine Rezession gestürzt, die sich durch die Terroranschläge in den USA im September 2001 und die damit verbundene wirtschaftliche
Unsicherheit noch verlängerte. Während sich aber die Wirtschaft in den meisten Staaten rasch erholte, schwenkte
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