Des Satans Schatten
Heldentaten vollbringst, habe ich mich in der Realität umgetan. Mir wollte unsere geheime Botschaft nicht aus dem Sinn gehen. Kein Mensch mit Verstand setzt sich einem solchen Risiko aus, wenn die dadurch übermittelte Nachricht ohne Belang ist. Sie muss etwas zu bedeuten haben, und zwar nicht wenig. Also habe ich mich erkundigt, was es mit dem Punkt auf sich haben könnte, der am allerunsinnigsten erscheint. Nämlich nach der Hexe. Und siehe da, es soll hier wirklich eine geben. Immerhin tuscheln so die Leute. Sie heißt Stiena und lebt in einer Hütte im Wald. Gernot hat mir genau beschrieben, wo sie liegt, weil man sie sonst kaum finden kann.«
Während ich erst beim dritten Gähnen angelangt war, sprudelte es aus meinem schelmisch dreinblickenden Freund nur so heraus. »Und da habe ich gleich die zweite Fliege mit einer Klappe geschlagen. Ich habe Gernot nämlich gefragt, ob er mir etwas Näheres über die Frau sagen könne, und wieder siehe da, er kennt sie ganz gut. Er sammelt nämlich Kräuter und Pilze in ihrem Auftrag, weil sie alt und nicht mehr besonders zu Fuß ist. Die entlegenen Plätze muss er deshalb für sie abgrasen. Sie gibt ihm dafür irgendwelche Mittelchen zur Linderung von Gelenkschmerzen und gegen die Krankheiten der kalten Jahreszeit.«
»Hoffentlich hat sie auch etwas gegen die Krankheiten des frühen Aufstehens. Aber da du schon eine solche Vorarbeit geleistet hast, will ich nicht hinter dir zurückstehen. Zur Not werden wir nach meinem Besuch wenigstens wissen, ob wir dieses ominöse Pergament vergessen können oder ob es nicht doch gehaltvoller ist, als es den Anschein erweckt. – Und auch nach deinen Nachforschungen auf der Burg. Denn du wirst dich darum kümmern müssen, was es für eine Bewandtnis mit Rodgers heimlichen Besuchen bei dieser Frau Dreven hat und was er ihr immer mitbringt.«
Hätte Gernot meinem Freund nicht eine so präzise Wegbeschreibung geliefert, ich hätte die Hütte nie entdeckt. Sie war gar nicht weit vom Rand des Dorfes entfernt, lag aber so perfekt in eine verkrautete Mulde auf einer Lichtung eingebettet, dass jeder Uneingeweihte nur ein paar Schritte entfernt an ihr vorbeigeritten wäre.
»Welche Ehre für mich, so ein hoher Besuch!« Die Stimme erklang hinter mir, als ich mein Pferd an einem Busch festgebunden und mich der niedrigen Eingangstür bis auf einen Schritt genähert hatte. »Tretet näher, vieledler Herr, und seid mein Gast.«
Das alte Hutzelweib, das neben mich getreten war, hatte wahrhaftig das Aussehen einer der Kreaturen, die die Inquisition so gerne als den fleischgewordenen Inbegriff allen Übels anprangert. Klein, mit einem gebogenen Rücken, einer spitzen, warzigen Nase und einem zahnlosen Mund. Sie sah zu echt aus, um wirklich zu sein.
»Nun, seid Ihr verwundert, mitten im Wald so viel Anmut und Grazie zu begegnen, Herr Frederik von dem Kerkhof?« Dabei wollte sie sich ausschütten vor Lachen. »Wartet ab, wartet ab, es ist nicht immer alles so, wie es scheint.«
Mit diesen Worten drückte sie sich um mich herum und öffnete mir die Tür zur Hütte, die mehr einem Bretterverschlag ähnelte, wobei sie einen Hofknicks imitierte und mich unter fortwährendem Gekicher hineinwinkte. »Tretet ein, schöner Mörder, und seht Euch in Ruhe um. – Oh ja, Ihr seid mir im Gedächtnis geblieben seit Eurem letzten Aufenthalt hier in Crange. Und auch Euer Auftritt auf dem Schafott von Münster wird nicht vergessen werden. – Ja, ja, hier im einsamen Wald erfährt man mehr, als Ihr glauben mögt.«
Mehr als ihre Worte versetzte mich das Innere der Hütte in Erstaunen. Nicht nur, dass sie weitaus größer erschien als von außen zu vermuten. Es herrschten auch eine peinliche Sauberkeit und Aufgeräumtheit, die der Wohnstube eines begüterten Handelsherren wohl angestanden hätten. Die Einrichtung war eine Mischung aus Kontor und Bibliothek, und an die angeblichen Hexenkünste der Hausherrin erinnerten nur zwei schmale Regale mit Tiegeln, Töpfchen und gläsernen Behältnissen, in denen sich zum überwiegenden Teil getrocknete oder in mir unbekannte Essenzen eingelegte Pflanzen, Beeren und Pilze befanden. Unter den Büchern gab es einige Folianten, die ich kannte und von denen ich wusste, dass sie ein Vermögen gekostet haben mussten.
Doch vor allem wurde der Blick des Gastes von einem Gemälde gefangen genommen, das mitten auf der gegenüberliegenden Wand prangte. Es zeigte eine in die Kleidung einer Adeligen gewandete, faszinierend schöne
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