Des Satans Schatten
ich genau, welche Anstrengung es ihn gekostet haben musste, seinen inneren Schweinehund niederzuringen und sich davon abzuhalten, das Siegel vorzeitig zu brechen. Nur der große Auftritt, den er sich bis jetzt aufgespart hatte, konnte ihm dabei zur Seite gestanden haben.
Ossenstert setzte die erwartete feierliche Miene auf, rückte den Leuchter mehr als nötig zurecht und schnitt dann mit einem kleinen, aber robusten Allzweckmesser den Lackklumpen vom Pergament. Dann entrollte er langsam das Schriftstück und fixierte es auf dem Tisch, indem er es oben mit dem Kerzenhalter und die unteren Ecken mit unseren Bechern beschwerte.
Bei dem Pomp, den der gute Johannes entfaltet hatte, war ich vom Inhalt des Schriftstücks einigermaßen enttäuscht. Sein veränderter Gesichtsausdruck verriet mir, dass es ihm ähnlich ging.
In einer Schrift, die nicht von Bertram stammte, fanden sich dort lediglich die Namen von verschiedenen Personen sowie verbindende Worte, die weniger erklärten als verwirrten. Und dafür beging jemand eine Leichenschändung und ging damit das Risiko ein, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden?
Um bei der Schrift zu bleiben, sie war gestochen scharf, ohne eine einzige Korrektur, und flüssig wie aus einem Guss. Dahinter steckte kein Mensch, der nur selten zur Feder griff, und schon gar kein niedrig gebildeter. Ein solcher Schreiber wird genau Gefahr und Wichtigkeit seines Tuns abgewogen haben. Er hatte sich für diese Vorgehensweise entschieden, und das ließ zwingend darauf schließen, dass seine Botschaft von weit größerer Bedeutung war, als es zunächst den Anschein erweckte.
Grund genug, das Schreiben Wort für Wort zu beleuchten.
Der unbekannte Verfasser hatte mit dem Mann begonnen, der sich uns als vornehmer und wohlhabender Händler präsentiert hatte. Dort stand:
Bühler – er ist in Freiburg unbekannt
.
Mein Freund und ich sahen uns an und zuckten wie auf ein Kommando die Achseln. Was sollte das? Mochte Bühler dort bekannt oder unbekannt sein, mochte er uns hinsichtlich seiner Herkunft also die Wahrheit gesagt oder belogen haben, welchen Fortschritt sollte uns dies bei unseren Nachforschungen hinsichtlich der verschwundenen Personen bringen?
Als Zweites stand dort:
Gernot – sucht giftige Pilze im Wald
.
Gernot war Jäger im Dienste des Grafen von Crange. Dass er sich die meiste Zeit im Wald aufhielt, lag in der Natur der Sache. Und giftige Pilze suchen – konnte der Schreiber überhaupt selber giftige von ungiftigen Pilzen unterscheiden?
An dritter Stelle kam der Hinweis:
Gertrudis – geht öfters zur Hexe
. Unser Achselzucken wiederholte sich. Hatten wir es hier mit einem Märchenerzähler zu tun?
Den vierten Platz nahm unser alter Wegbegleiter Rodger ein.
Stapelmann – schmuggelt des Nachts Dinge aus der Burg zur Dreven
.
Zuletzt stand dort:
Tenhove – ein Mann ohne Vergangenheit
. Ja und? Ich zum Beispiel hatte davon umso mehr, ohne dass dies etwas mit den Verschollenen zu tun hatte.
Das alles mutete eher wie der Merkzettel eines neugierigen Tratschweibs an, das seine Nachbarn bespitzelt und hausgemachte Gerüchte in die Welt setzt. Und für eine solche Auflistung diese dramatische und gefahrvolle Unternehmung auf dem Friedhof?
Wir waren uns Köpfe schüttelnd einig. Alles Blödsinn, dem man nur mit einem großen Schluck begegnen konnte.
Habe ich euch, meine Bacchus verehrenden Zuhörer, eben erzählt, der von Ossenstert mitgeführte Krug wäre klein? Nun, in Wahrheit war er sehr klein, und deshalb war meinen Bemühungen, unsere Gläser aufzufüllen, auch kein Erfolg beschieden. Was nichts daran zu ändern vermochte, dass wir beide noch durstig waren.
Da ich trotz der fortgeschrittenen Stunde noch Geräusche aus dem Schankraum hören konnte, schlug ich Ossenstert vor, dort unten unser Glück zu versuchen, um in der veränderten Atmosphäre für heute auf andere Gedanken zu kommen.
Bei mir hat diese Methode meistens funktioniert. Mein Freund Johannes konnte hingegen nicht leicht verdauen, dass sich die von ihm so nachdrücklich angeschmachtete Schöne auf einer Liste wiederfand, die auf Verbindungen zu Mord und anderen Missetaten hinzuweisen schien.
Daher setzte ich meine ganze Hoffnung auf den schwersten Wein des Wirtes, und, sollte dieser Trunk nicht genügen, auf den einen oder anderen Schluck Branntwein.
Auf diese berauschenden Tropfen hatten offenbar auch noch andere gesetzt, denn die Schankstube war zu meiner Überraschung besser gefüllt als zu dieser
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