Des Satans Schatten
Ketzern wirtschaftliche Werte im Übermaß zerschlagen werden. Gut, könnte man argumentieren, was schadet es, hier und da eine runzlige Kräutersammlerin zu verbrennen, um das gemeine Volk auf dem rechten Weg zu halten und ihm gleichzeitig noch etwas Abwechslung zu bieten? Warum soll man nicht ab und an einen abweichlerischen Mönch exekutieren, um die anderen bei der Stange zu halten? Aber bedenkt, sind solche Fälle erst ruchbar geworden und musste die Inquisition mit ihrem ganzen Pomp ihre Schauspiele veranstalten, dann ist eine Lawine losgetreten, die ein Eigenleben entfaltet und kaum noch aufzuhalten ist. Wie schnell sind auf der Folter Geständnisse abgelegt, die einen nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten?«
Die Wildkeule schmeckte ausgezeichnet und stand dem Wein in nichts nach. Da auch das Klopfen in meinem Nacken nachgelassen hatte, fand ich allmählich Gefallen an meiner Lage. »Ich halte die Folter nicht für ein probates Mittel, der Wahrheit näher zu kommen. Unter ihr würde selbst der Papst gestehen, Satans Stellvertreter auf Erden zu sein. Aber diesen Gesichtspunkt meint Ihr bestimmt nicht. Also wie habe ich Euch zu verstehen?«
»Ich meine damit, dass dadurch der Kreis der Beschuldigten ständig erweitert wird und es letztlich Leute erwischt, an deren Tod der Kirche nicht gelegen sein kann, Künstler, Wissenschaftler zum Beispiel. Der Vatikan ist längst nicht mehr so blind, wie er sich nach außen hin darstellt, um den konservativen Kräften, die zur Zeit noch zu stark sind, zu genügen. Auch in Rom gibt es Menschen mit Visionen, die von der Vernunft geprägt sind. Oder meint Ihr vielleicht, ich selber würde daran glauben, dass ein altes Weib auf einem Besen durch die Luft zum Blocksberg fliegt, um dort dem Satan den Arsch zu küssen? Und es gibt noch einige Dinge mehr, die ich mir nicht einreden lasse. Denkt allein an die Idiotie mit der Wasserprobe und was dabei herauskommt: eine tote Verdächtige, so oder so. Aber würden wir uns heute schon offenbaren, wir müssten damit rechnen, selber allesamt als Ketzer verbrannt zu werden. Und ich schwöre Euch, es wären sogar einige Kardinäle dabei! Daher müssen wir die Dinge im Geheimen angehen und unsere Sache behutsam vorantreiben.«
Ich streckte meine Hand aus, in die er mir wortlos eine neues Stück Braten legte. »Geheim und behutsam, das sind Vorgehensweisen, die ich mein Leben lang zu schätzen weiß. Der Sinn Eurer Worte ist mir aber immer noch unklar, denn wie kommt Ihr hierbei ins Spiel?«
»Ich«, und jetzt lachte Degusti laut heraus, »ich bin der, der das Feuer austritt, bevor es entfacht wurde. – Lasst mich zum besseren Verständnis das Pferd von der anderen Seite aufzäumen. Was wird geschehen, wenn sich nicht endlich Licht in das Verschwinden der vielen Menschen bringen ließe und damit aufgeräumt würde, dass der Teufel in der Gegend um Crange persönlich umgeht? Die Gerüchte werden mehr und mehr, das dumme Volk wird die unglaublichsten Märchen dazuerfinden, und der Einmarsch der Inquisition wird unvermeidlich sein. Zunächst werden sich die freuen, die ihre unliebsamen Nachbarn denunzieren können, an deren Land, Weib oder Vieh sie sich bereichern wollen oder auf die sie aus irgendeinem Grunde wütend sind. Dann wird man über die Außenseiter herfallen und alle, die nicht die Billigung der Scheinheiligen finden, und man freut sich, die erbaulichen Darbietungen auf dem Schafott geboten zu bekommen. Doch dann schwingt das Pendel zur anderen Seite, wenn nämlich die Gefolterten alles und jeden der Hexerei und der Buhlschaft mit dem Teufel bezichtigen, nur um ihre Qualen zu verkürzen. Dann trifft es plötzlich die eigenen Frauen und Kinder, die Eltern, die Geschwister und denjenigen selbst, der noch einen Monat zuvor dem Henker zugejubelt hat. Auf diese Weise wird man eine Lage schaffen, in der sich der Henker am Ende noch selber exekutieren muss. – Wenn dann alles vorbei ist, ist ein ganzer Landstrich entvölkert, das Vieh verkommt, und auch die Äcker werden nicht mehr bestellt. Letztlich bekommt damit auch die Kirche nicht mehr ihren Teil. Wem soll das alles nützen?«
Ein kluger Vortrag meines Herrn Gegenüber. So viel Vernunft hätte ich mir bei etlichen Regierenden gewünscht, die mir während meiner Tätigkeit für den Fürstbischof begegnet waren.
»Bedenkt man ferner, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben, in der die Reformatoren im Inneren und Äußeren des Reichs an den Grundfesten der katholischen
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