Des Sieges bittere Tränen
Marktschreier. Zum Ruhme! Welch ein Unsinn. Wer dankt dir das? Wenn du vom Pferd fällst und brichst dir irgendeinen Wirbel und mußt im Rollstuhl gefahren werden, wer kümmert sich dann um dich? Ein paar Zeitungsartikel, ein paar Bildreportagen und dann Schluß. Vergessen! Abgeschoben! In der nächsten Saison spricht schon keiner mehr von Horst Hartung. Nur der gilt, der noch im roten Rock im Sattel sitzt, der gelähmte Hartung ist dann längst mit dem Stalldung weggefegt. So ist das, Horst, und du weißt das ganz genau!«
»Darin sind wir nicht anders als Soldaten. Gehorchen, siegen oder untergehen!«
»Und das nennt ihr noch Sport!« Sie fuhren jetzt zum drittenmal am Hotel ›Terminus‹ vorbei. Der Portier, der immer auf dem Sprung stand, tippte sich bei der dritten Runde an die Stirn. Der Fahrer zuckte mit den Schultern und hob beide Hände. Prego, amico – solange Verrückte zahlen, können sie bei mir machen, was sie wollen. Einfacher kann ich meine Lire nicht verdienen. »Laß mich 'raus, Horst.«
»Wir lieben uns doch, Angi.«
»Ist das Liebe, wenn wir irgendwo auf der Welt zusammenprallen wie zwei Gewitterwolken und dann weiterziehen? Genügt dir das? Mir nicht! Ich will mit dir leben und nicht eine Duftnuance des Stalldunstes sein.«
»Du bist heute wieder von einer umwerfenden Rhetorik.« Hartung lehnte sich seufzend zurück und tippte dem Fahrer auf die Schulter. Der kleine Italiener nickte stumm. »Ich habe dir versprochen – nach der Olympiade heiraten wir.«
»Mein Gott, das sind ja noch drei Jahre.« Angela schüttelte den Kopf. »Wir werden uns trennen, Horst.«
»Angi!« Hartung versuchte, ihre Hand zu ergreifen, aber sie zog sie abrupt zurück. Vor ihnen tauchten die Lichterketten der Hotels auf. Nur noch ein paar Sekunden. »Angi, soll ich jetzt, wo Laskas Stern aufgeht, alles hinschmeißen? Du weißt am besten, was in Laska steckt.«
»Pökele sie dir ein«, sagte Angela wütend. Sie riß die Tür des Taxis auf, als es noch vor dem Hoteleingang ausrollte, und sprang hinaus. Der Portier kam diesmal zu spät. Die fahren doch noch eine Runde, dachte er. Er war entsetzt, als die Signorina aus dem Wagen stürzte und sich nur mit größter Mühe auf den Beinen hielt. Die Bremsen kreischten.
»Madonna mia!« schrie der Chauffeur und schlug die Hände zusammen.
»Angi!« Hartung beugte sich aus der offenen Tür. »So können wir nicht auseinandergehen. Ich hole dich in einer Stunde ab.«
Er wußte nicht, ob sie es gehört hatte. Sie lief ins Hotel, fegte durch die breite Glastür und verschwand. Der Portier holte die beiden Koffer aus dem Wagen, musterte Hartung wie einen Menschenjäger, tuschelte mit dem Taxichauffeur und schritt dann gravitätisch zur Tür der Hotelgepäckannahme.
Eine Stunde später sagte der Chefportier in der Rezeption zu Hartung in fließendem Deutsch: »Bedaure, mein Herr, die Dame ist ausgegangen.« Und am nächsten Morgen, am Telefon: »Bedaure, mein Herr, die Dame ist nicht im Hause.«
Am Mittag, nach einem harten Training: »Bedaure, mein Herr, die Dame hat hinterlassen, sie mache einen Ausflug auf der Via Appia.« Am Abend – Hartung hatte einen Smoking angezogen und zwei Opernkarten für eine Aufführung von ›La Bohème‹ in der Tasche – die gleiche, stereotype Auskunft des eleganten Chefportiers mit den beiden gekreuzten Schlüsseln auf dem Samtkragen: »Bedaure, mein Herr, die Dame ist vor einer Stunde abgeholt worden.«
»Abgeholt worden?« Hartung war ratlos. »Haben Sie ihr meinen Brief gegeben?«
»Natürlich, mein Herr.« Der Chefportier verzog das Gesicht. Was für eine Frage!
»Und? Was geschah mit dem Brief?«
»Die Dame steckte ihn ein.«
»Ungelesen?«
»Meines Wissens – ja.«
»Wer holte sie ab?«
Der Chefportier musterte Hartung wie einen Bettler, der sich in diese heiligen Hallen des Geldadels verirrt hat. »Mein Herr«, sagte er betont, »unser Haus ist bekannt für seine Diskretion. Darf ich Ihnen durch den Boy eine Erfrischung bringen lassen?«
»Danke.« Hartung wandte sich ab. Im Hinausgehen zerknüllte er die Theaterkarten und warf sie in einen großen Aschenbecher. Dann bummelte er über die Via Véneto, trank drei Campari, wehrte vier entzückende, wohlgerundete, aber teure Mädchen ab, langweilte sich in einem Nachtclub bei mittelprächtigem Striptease, dessen Höhepunkte in flackernden roten Scheinwerfern untergingen – die römischen Behörden verlangten es so, und kam in sein Hotel zurück, als Fallersfeld mit den
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